Ausradiert: Thriller (German Edition)
letzte Woche eingezogen.«
»Hat sie eine Nachsendeadresse hinterlassen?«
»Nicht bei uns.«
Nick sah kurz eine Frau in den Schatten den Flur durchqueren, ihr Kopf war kahl. Orthodoxe Juden: Es war ihm völlig entgangen, die analysierenden Bestandteile seines Verstandes arbeiteten nicht. Ebenso schlimm, er wusste, dass es einen offensichtlichen nächsten Schritt gab, auf den er auch nicht kam.
»Vielleicht weiß die Vermieterin etwas«, riet der Mann.
Das war er, der nächste Schritt – Vermieterin.
»Mrs. Franklin«, sagte der Mann, indem er seine Frage vorwegnahm. »Sie wohnt die Straße hinunter, Nummer 1296.«
Nick überlegte, ob er den Mann bitten sollte, ihn zu begleiten: Er besaß genug Verstand für sie beide.
Bei der 1296 kam niemand zur Tür. Nick starrte hinunter auf die Fußmatte: Home Sweet Home, die Buchstaben von Blumengirlanden verziert, in einer Ecke eine dicke Hummel. Wieder spürte er den Druck eines Gedankens oder einer Erinnerung, die an der mentalen Nabelschnur zerrte. Es ging um Bienen und volle, sinnliche Lippen, aber auch diesmal gelangte nichts an die Oberfläche. Er klopfte ein letztes Mal und wandte sich zum Gehen, als er Musik hörte, die so schwach wie Vogelgezwitscher im Hintergrund durch die Luft wehte. Die Melodie kam ihm bekannt vor.
Nick folgte der Musik rund um das Haus zur Rückseite. Mrs. Franklin besaß einen schönen Garten mit Pool und Ziegelterrasse. Ein pummeliges Mädchen in ausgeleiertem Jogginganzug saß unter einem Schirm, einen Ghettoblaster zu ihren Füßen, einen Joint in der Hand. Es war ein Schultag, und sie sah aus, als wäre sie im schulpflichtigen Alter. Aus dem Ghettoblaster tönte nicht besonders laut ein Lied, das er irgendwoher kannte:
You don’t even know
What’s buried in your yard
Retard.
Das Mädchen starrte gedankenverloren ins Wasser. Nick trat auf die Terrasse, ein loser Ziegel knirschte unter seinem Fuß. Das Mädchen blickte auf.
Nick hob seine Hand zum Friedensgruß. »Ich suche nach Mrs. Franklin«, sagte er.
»Das ist meine Mutter«, antwortete das Mädchen, während es den Joint fallen ließ, der leise zischend im Swimmingpool unterging. »Mrs. Franklin. Sie ist nicht zu Hause.«
»Wann wird sie zurück sein?«, fragte Nick.
»Erst spät.« Das Mädchen legte den Kopf auf die Seite, musterte ihn aufmerksam. »Sind Sie nicht der Detektiv?«, fragte sie.
»Ich bin Detektiv«, sagte Nick.
»Der schon mal hier war und nach Amanda Rummel gesucht hat?«
Die Verschmelzung dieser beiden Namen traf Nick mit beinah körperlicher Wucht. Er setzte sich auf eine Sonnenliege dem Mädchen gegenüber.
»Haben Sie irgendwas mit Ihren Haaren gemacht oder so?«, fragte sie. »Hatten Sie früher einen Schnurrbart?«
»Nein«, sagte Nick. Er war ein wenig außer Atem. »Ich habe deinen Namen vergessen.«
»Beth«, sagte sie.
»Beth.«
Sie hatte ein hübsches Gesicht, noch nicht völlig ausgeformt – er konnte gleichzeitig erkennen, wie sie als kleines Kind ausgesehen hatte und wie sie in dreißig Jahren aussehen würde –, ein hübsches Gesicht, das wegen irgendetwas ängstlich war. »Wie alt bist du?«
»Sechzehn. Ich habe heute geschwänzt. Meine Mutter weiß nichts davon.«
»Ich werde nichts verraten«, versicherte Nick.
Der ängstliche Ausdruck verschwand trotzdem nicht. »Es geht mir wirklich nicht besonders gut«, sagte sie.
»Tut mir leid, das zu hören«, sagte Nick.
»Danke«, antwortete Beth. »Irgendwie ist das mit Amanda unheimlich.«
»Was denn?«
»Die Art, wie sie wieder verschwunden ist.«
»Wieder verschwunden?«
»Aber Sie haben mit ihr gesprochen, nicht?«, sagte Beth. »Das hat sie mir erzählt.«
»Wann war das?«
»Letzten Monat oder so. Als sie zurückkam. Ich habe erwähnt, dass Sie hier waren, und da sagte sie, sie hätte Sie getroffen. Das war in der Schule. Wir hatten angefangen, uns richtig anzufreunden – sie ist so nett –, uns unsere Probleme zu erzählen und so Zeug, und dann sind sie und ihre Mutter ganz plötzlich abgehauen, ohne die Miete zu bezahlen. Meine Mutter war stinksauer.«
Ein einziges Durcheinander. Nick sah ihr in die Augen: Sie waren rot. »Was für Probleme hatte Amanda?«
»Abgesehen von dem, was ich Ihnen schon erzählt habe?«, fragte Beth. »Da ist dieser Freund.«
»Rui.«
»Genau. Er ist ungefähr dreißig oder so und hat auch Probleme. Sie sagte, es wäre Schicksal.«
»Was war Schicksal?«
»Dass sie sich kennengelernt haben. Raten Sie mal, wo das
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