Außer Atem - Panic Snap
gebrochenem Weiß, den Kissen in verschiedenen Pastellfarben, dem perlgrauen Teppich und den rauchblauen Polstersesseln. Sonnenlicht, das durch das rückwärtige deckenhohe Fenster hereinfällt, überflutet den Raum. Ich komme oft hierher. Nicht der Einrichtung wegen, sondern wegen des Porträts an der Wand.
Wieder einmal schaue ich mir das Gemälde an. Es ist ein Familienporträt der McGuanes. Mutter, Vater und die beiden Kinder – alle in jüngeren Jahren. Als ich sie fragte, sagte Mrs. McGuane, es sei vor sechzehn Jahren gemacht worden – nur ein Jahr vor dem Anschlag auf mich. Sacht lasse ich einen Finger über James' Gesicht gleiten. So muss er ausgesehen haben, als ich ihn kannte, jünger, mit glatterem Gesicht und einem offeneren Ausdruck, noch ungetrübt von Zeit und Erfahrung. Es ist ein hübsches Gemälde, doch immer, wenn ich es betrachte, ergreift mich ein Schauder, droht mir die Luft knapp zu werden. Vage, amorphe Bilder – zerfließend und ohne eine bestimmte Form – wollen in meinem Kopf Gestalt annehmen, bleiben aber außer Reichweite und schweben schließlich wie zarte Rauchwolken davon. Je stärker ich mich auf sie konzentriere, desto schwerer fassbar werden sie. Die Ärzte haben gesagt, meine Erinnerung könnte in Bruchstücken zurückkehren, vage, vielleicht auch nicht in der richtigen Reihenfolge; kostbare lose Erinnerungsfetzen, die sich unter der Barrikade des Gedächtnisverlusts hindurchschleichen. Oder aber sie könnte auf mich einstürzen. In Wahrheit waren sich die Ärzte nicht sicher, wie oder ob mein Erinnerungsvermögen überhaupt zurückkehren würde. Wenngleich als Spiel in Filmen oder Romanen sehr beliebt, ist meine Art von Gedächtnisverlust äußerst selten, und über einen möglichen Heilungsprozess können kaum Aussagen getroffen werden. Vielleicht kehrt die Erinnerung auch nie zurück.
»Sind Sie allein?«, höre ich Gina fragen.
Erschrocken drehe ich mich um. Ich habe sie nicht kommen hören. Sie war offenbar in der Kellerei, jedenfalls trägt sie ihre Kluft aus engen Blue Jeans, Stiefeln und T-Shirt, diesmal eins mit dem Logo von Byblos als Aufdruck. Ihr Haar ist zu einem buschigen Pferdeschwanz zusammengerafft, ein paar lose schwarze Locken kleben an ihrem verschwitzten Hals. Fast immer, wenn ich sie sehe, trägt sie deutliche Spuren ihrer Arbeit – Schmutzflecken auf der Wange, Staub oder Schlamm an den Schuhen, dunkle Weinflecken auf dem Shirt. Sie lebt praktisch in der Kellerei.
»Sind Sie allein?«, fragt sie noch einmal und kommt näher.
Wenn auch nicht so tief, ähnelt ihre Stimme der von James doch sehr, sie klingt, als wäre jeder Vokal in Samt verpackt. Ich nicke und hoffe, dass sie nicht gesehen hat, wie ich mit dem Finger über das gemalte Gesicht ihres Bruders gefahren bin.
»Das Essen ist bald fertig«, sage ich und rattere nervös herunter, was ich alles servieren werde – gegrilltes Lammfleisch mit einer Sauce aus Cabernet Sauvignon, schwarzen Johannisbeeren und frischem Basilikum. Als Dessert Zabaione zu marinierten Pfirsichen und Birnen.
Die Arme verschränkt und verhalten lächelnd, steht Gina da und hört mir zu. Ihre Haut ist leicht gebräunt, ihre Augenbrauen sind dunkel und dramatisch. Auf dem Gemälde hat sie einen sehr verspielten Gesichtsausdruck und ein sorgloses Glitzern in den hellgrünen Augen. Sie ist auch jetzt noch eine schöne Frau, doch sie hat nichts Sorgloses oder Verspieltes mehr an sich.
»Sie sind zu gut für uns«, sagt sie.
Ich hebe neugierig den Kopf.
Ihr Lächeln wird breiter, und sie greift in ihre Gesäßtasche. »Hier«, sagt sie und streckt mir den Arm entgegen.
Ich schaue hin, sehe einen zusammengefalteten Zettel in ihrer Hand, nehme ihn und klappe ihn auf. Der Name und die Telefonnummer eines bekannten Restaurants in San Francisco sind darauf gekritzelt, darunter der Name eines Mannes.
»Es gehört ihm«, sagt sie. »Er ist ein Freund von mir. Sie können nächste Woche dort anfangen – er zahlt Ihnen dreimal so viel wie wir. Dieser Wechsel würde Ihrer Karriere gut tun.«
Ich spiele mit dem Zettel herum. Natürlich kenne ich das Restaurant, es ist eins der besten im ganzen Land. Ich habe schon immer davon geträumt, einmal in solch einem Lokal zu arbeiten; jeder Koch träumt davon. Ich gebe ihr den Zettel zurück. »Ich bin nicht auf der Suche nach einem Job«, sage ich. »Ich habe schon einen.«
Ihr Lächeln verschwindet. Sie zögert einen Moment lang und sagt dann: »Ich habe mir Ihren Lebenslauf
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