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Außer Atem - Panic Snap

Außer Atem - Panic Snap

Titel: Außer Atem - Panic Snap Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Reese
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geht in Richtung Haupthaus davon. Ich sehe ihn gern in Bewegung, das leichte Rollen seiner Schultern, die Sicherheit seines Schritts, die kräftigen Muskeln seiner Oberschenkel. Er bewegt sich wie ein Urwaldtier, wie eine riesige Katze, selbstsicher, graziös und immer sprungbreit. Sein Schritt hat nichts Zögerndes, kein Selbstzweifel lässt seinen Gang vorsichtig wirken. Ich wüsste gern, wie es sich anfühlt, solch eine Selbstsicherheit zu besitzen. Plötzlich fällt mir etwas ein.
    »James!«, rufe ich ihm nach.
    Er dreht sich um.
    »Warum bist du hergekommen?«, frage ich. »Was wolltest du?«Über uns wölbt sich der blaue Himmel, und ich habe das Gefühl, dass Welten zwischen uns liegen.
    »Wir sehen uns heute Abend«, ruft er zurück, ohne meine Frage zu beantworten, und geht weiter. Durch den Gemüsegarten, der sich wie ein Festmahl vor uns erstreckt: rechts ein großer Bereich mit gerade und hoch gewachsenem Zuckermais und den Ranken von Sommerkürbis und Zucchini, die sich hell goldfarben und grün über den Boden schlängeln; weiter hinten Rote Bete, Kartoffeln, Erbsen, Rettiche, Gurken und Karotten; und dann gibt es noch die Salatbeete mit lockigen Endivienköpfen und lappigem Senfkohl, mehreren Reihen blassgrünen knackigen Kopfsalats, ein Paar roten Radicchio-Köpfen, einer zerzausten Ansammlung von gelblichem Buttersalat. Und überall dazwischen wachsen Küchenkräuter.
    Ich höre eine Tür zuschlagen, und im Umdrehen sehe ich, dass Gina ihr Haus verlässt. Sobald sie gestern Abend gegangen war, habe ich im Wandschrank im Schlafzimmer nachgesehen, ob sie mein Versteck entdeckt hat. Ich bewahre alle Unterlagen über mich selbst und über Byblos sicher verschlossen in einem Koffer auf. Er schien unberührt zu sein, alles war so, wie ich es zurückgelassen hatte.
    Sie kommt über den Rasen, schlendert an mir vorbei, nickt mir flüchtig zu, sagt nicht einmal hallo. Sie sieht nicht gut aus. Ihre Haut ist stumpf, und unter den Augen hat sie dunkle Ringe. Ich vermute, dass sie einen Kater hat. Selbst wenn sie – wie meistens – in schmutzigen Jeans und einem T-Shirt unterwegs ist, sieht sie immer strahlend aus, kantig zwar, aber elegant; ihre Augenbrauen und die herrlich grünen Augen verleihen ihr immer ein ziemlich dramatisches Aussehen. Heute aber wirkt sie einfach nur krank.
    Sie geht zu James hinüber, der auf der Veranda auf sie wartet. Sie sprechen miteinander, hitzig, wie es scheint, und dann wirft sie einen schnellen Blick in meine Richtung. Er legt ihr den Arm um die Schulter und zieht sie ins Haus.
    Ich pflücke weiter Brombeeren. Der Gärtner hat etliche Sorten von Erdbeeren, Blaubeeren, Himbeeren und Brombeeren angepflanzt, die sich alle in der Farbe, Struktur und im Geschmack voneinander unterscheiden. Ich mag am liebsten Brombeeren, die von der nachmittäglichen Sonne durchwärmt sind und wie Marmelade duften. Saftige dunkle Brocken, süßer und köstlicher als Bonbons. Unter allen Beeren scheinen sie mir die wildesten zu sein, die ungezähmtesten, die Außenseiter im Garten, die sich mit ihren Stacheln und Dornen unkontrollierbar ausbreiten. Ich fülle mein Gefäß nicht ohne einen gewissen Stolz darauf, dass meine Finger zerkratzt sind und bluten.
    Ich schleppe den Beutel mit dem Gemüse in James' Haus und lege seinen Hausschlüssel auf den Tisch neben der Tür. Sein Kühlschrank ist spartanisch, der Inhalt lässt darauf schließen, dass er wenig Zeit mit Kochen verbringt: ein Würzmittel, Senf, Majonäse, Ketchup, Salatdressing, mehrere Dosen Sodawasser und ein Liter Milch. Seine Schränke geben auch nicht viel mehr her: eine geöffnete Müsli-Schachtel, zwei Gläser mit Nudelsauce, ein paar Gewürze und eine Dose mit Kaffee. Ich lege das Gemüse beiseite und schaue auf die Uhr. Ich habe jede Menge Zeit.
    Im Wohnbereich bleibe ich vor der Couch, dem Kamin und dem rostfarbenen Orientteppich stehen. Ein Schauder überläuft mich, als ich mich an die schäbigen Einzelheiten meines letzten Besuchs hier erinnere. Ich sage mir, dass ich unter Zwang gehandelt habe, doch das ist nicht die ganze Wahrheit, und ich verdränge den Gedanken. Es scheint mir besser, wenn ich nicht darüber nachgrübele, meine Motive nicht genauer untersuche.
    Ich gehe zu seinem Arbeitsplatz hinüber. Als ich ihn das erste Mal durchstöberte, hat James mich unterbrochen, ehe ich die Möglichkeit hatte, mir seinen Aktenschrank anzusehen. Ich ziehe die erste Schublade auf. Alle Aktenmappen tragen durchsichtige

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