Aussicht auf Sternschnuppen
ließen wir links liegen.
War der Verkehr die letzten hundertfünfzig Kilometer noch geflossen, kam er kurz hinter Roverto erneut ins Stocken.
„Ganz ruhig“, sagte Nils, der die Panik in meinen Augen bemerkte. „Wir gehen kein Risiko ein und fahren an der nächsten Abfahrt von der Autobahn herunter. Es sind höchstens noch fünfzig Kilometer. Die können wir auch auf der Bundesstraße fahren.“
Schicksalsergeben nickte ich.
„Waren Sie schon einmal in Verona?“, fragte Nils.
„Nein. Sie?“
„Auf meiner Abschlussfahrt.“
„Sind Sie in München zur Schule gegangen?“
„Nein. Ich war auf einem Internat am Bodensee. Schloss Salem. Vielleicht sagt Ihnen das etwas?“
„Das ist ein privates Elite-Internat, oder?“
„Privat ja, Elite, ich weiß nicht.“
„Sie müssen gut in der Schule gewesen sein“, meinte ich.
Er lachte freudlos auf. „Nein. Aber meine Eltern waren bereit, unglaublich viel Geld für meinen Aufenthalt zu bezahlen und sie haben den damaligen Direktor gekannt.“
„Hatten Sie dort keine schöne Zeit?“, hakte ich nach.
Nils zuckte die Schultern. „Hin und wieder schon. Wenn eine Party stattfand oder jemand Gras organisieren konnte. Aber wer geht schon gern zur Schule!“
„Ich habe die Schule gemocht.“
„Welche Überraschung!“
Ich ging auf seine Spitze nicht ein. „Und Sie haben wirklich Drogen genommen?“
„Ich habe Gras geraucht und keine Drogen genommen.“
„Das ist das gleiche“, sagte ich.
„Nein. Marihuana wird auch zu medizinischen Zwecken eingenommen. Haben Sie noch nie einen Joint geraucht?“, fragte Nils.
„Nein. Obwohl, warten Sie …“ Ich musste kichern. „Ich habe einmal auf der Party einer Klassenkameradin aus Versehen einen Haschkeks gegessen. Ich habe ihn für einen ganz normalen Vollkornkeks gehalten. Aber die Wirkung war anders.“
„Sie waren ja ganz wild in Ihrer Jugend.“ Nils’ Tonfall klang höhnisch.
Ich presste die Lippen aufeinander. „Nur weil ich mich nicht ständig betrunken und Drogen genommen habe, heißt das nicht, dass ich früher nicht wusste, wie man Spaß hat.“
„Ich wollte Sie nicht beleidigen.“ Er hob beschwichtigend die Hände. „Im Gegenteil. Es würde auch gar nicht zu Ihnen passen, wenn Sie betrunken auf allen Vieren durch einen Raum kriechen oder mit glasigen Augen und einem Joint in der Hand in einer Ecke liegen würden. Sie haben eine so reine Ausstrahlung.“
Reine Ausstrahlung? Klar! Er machte sich lustig über mich.
„Ich weiß. Für Sie bin ich die langweiligste Person dieser Welt.“ Resigniert ließ mich in den Sitz zurücksinken.
„Anfangs vielleicht. Aber jetzt, wo ich Sie etwas näher kenne, habe ich auch die eine oder andere Seite an Ihnen entdeckt, die alles andere als langweilig ist“, sagte Nils und lächelte anzüglich.
Verlegen blickte ich nach unten.
Doch bevor Nils mir seine Analyse meiner Persönlichkeit näher erklären konnte, trat er auf einmal so heftig auf die Bremse, dass ich ruckartig nach vorne geschleudert wurde und mit dem Kopf nur wenige Zentimeter vor der Windschutzscheibe stoppte.
„Sind Sie verrückt geworden? Warum haben Sie so plötzlich gebremst?“, meckerte ich.
„Hinter uns steht eine Anhalterin.“
Tatsächlich! Eine groß gewachsene, blonde Frau in kurzen Shorts, einem knappen Pullover und einem Rucksack auf dem Rücken marschierte in forschem Schritt auf den Smart zu.
„Ich möchte aber niemanden mitnehmen. Und woher wollen Sie wissen, dass sie nach Verona will.“
„Auf dieser Straße geht es nur in diese Richtung. Und wir müssen Sie mitnehmen. Sie wird es nie vor Einbruch der Dunkelheit zum nächst größeren Ort schaffen. Wollen Sie dafür verantwortlich sein, wenn ihr etwas passiert?“
„Mir kommen gleich die Tränen.“ Ich sah ihn ungnädig an. „Wenn sie sicher ankommen wollte, würde sie nicht in einem solch knappen Aufzug mutterseelenallein die Straße entlangwandern. Hätten Sie eine solch ausgeprägte soziale Ader auch, wenn die Frau über 70 wäre, Übergewicht und einen Damenbart hätte?“ Ich hob provozierend eine Augenbraue.
„Natürlich. Ich bin nämlich ein netter Mensch.“
Mittlerweile war die blonde Frau an unserem Smart angekommen. Genervt kurbelte ich die Scheibe herunter und ein schmales, braun gebranntes Gesicht erschien. Von nahem betrachtet war sie nicht mehr ganz so jung, wie sie von weitem gewirkt hatte, sondern bestimmt schon Mitte 40.
„Ciao!“ Sie strahlte in das Auto hinein und um ihre
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