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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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täglich mehr als zwei Blätter zugestellt
     bekamen. Das waren eine ganze Menge, vorrangig Schauspieler. Immer neue
     Zeugen meldeten sich nun, die irgendwen gesehen haben wollten oder im
     Leben einfach schon zuviel gesehen hatten; sie bereiteten den
     Polizeizeichnern Überstunden ohne Ende. Manche dieser Wichtigtuer
     hofften vielleicht darauf, daß irgendwann der gefaßte Mörder
     jenem Bild ähnlich sehen würde, das sie herbeiphantasierten, die
     meisten wollten ihrem grauen Alltag entfliehen oder einfach nur jemanden
     zum Plaudern haben. Auch Hellseher boten ihr entlegenes Talent an.
    Nabel faßte einen auf
     zwischenmenschlicher Ebene tiefgreifenden Entschluß. Mit dem Fall
     hatte das höchstens am Rand zu tun, aber die Gelegenheit war günstig,
     angesichts der herrschenden Stagnation. Die Sache fiel ihm nicht leicht,
     sein Magensäurespiegel stieg, und er sah sich gezwungen, weniger
     scharf zu essen als üblich.
    »Lidia?«
    »Hmm?« Sie konnte
     vor Erschöpfung kaum noch aus den Augen sehen, ihre Schultern
     zitterten manchmal.
    »Kommst du heute bitte
     in meine Wohnung, irgendwann nach Dienstschluß? Ich muß dich
     sprechen.«
    »Worum gehts denn?«
    »Nicht hier. Bei mir?
     Um neun?«
    Lidia dachte sich mordsweißwas,
     aber natürlich kam sie, wenn auch unwillig und ungeschminkt, um keine
     mißverständlichen Zeichen zu setzen. Nabel öffnete die
     Flasche Margaux ’94, die ihm Seidel zur Beförderung geschenkt
     hatte.
    Die beiden nahmen in der
     schmalgeschnittenen Küche Platz, Nabel suchte den Klassiksender im
     Radio und stellte eine Dose dänischer Butterkekse auf den Tisch.
     Deren Haltbarkeitsdatum war erst vor zwei Wochen abgelaufen. Lidia fuhr
     mit der Kuppe ihres rechten Zeigefingers über die grasgrüne
     Wachstischdecke, reckte ihn vorwurfsvoll in die Höhe und wischte den
     Staub an einem Tempotaschentuch ab.
    »Jetzt bin ich aber
     gespannt, Kai.«
    »Ich auch. Laß
     uns mal ein Glas trinken, auf deine Gesundheit!«
    »Auf meine Gesundheit?«
    »Ja.«
    »Dann doch lieber auf
     unsere Gesundheit, oder?«
    »Von mir aus. Aber
     darum geht es heute nicht.«
    Lidia sagte nichts dazu und
     kostete. Der Wein schmeckte leicht korkig und depressiv.
    »Hör zu«,
     begann Nabel und suchte nach Worten, nach dem richtigen Anfang.
    »Ja?«
    »Wie soll ich das
     sagen? Also, hör zu …«
    »Das sagtest du
     bereits. Ich höre zu.«
    »Du arbeitest viel und
     sehr gut, du – ach, verflucht, ich bin dein Freund, ja?«
    »Hoff ich doch.«
    »Was wir hier bereden,
     ist streng privat, und ich, also, du kannst völliges Vertrauen zu mir
     haben, klar?«
    »Spucks einfach aus.«
    »Es geht mich
     eigentlich nichts an, andererseits aber doch, weil es sonst vielleicht
     bald andere angehen würde, denen du nicht so vertrauen kannst wie
     mir, okay?«
    Lidia streckte ihren Oberkörper
     gerade und preßte den Rücken gegen die Stuhllehne, sie nahm
     billigend in Kauf, daß ihre an sich kleinen Brüste auf diese
     Weise überbetont wurden.
    »Worauf willst du bloß
     hinaus?«
    »Du mußt es doch
     wissen. Du weißt es ganz genau!«
    »Dann red doch einfach.«
    Eine kleine Pause entstand,
     beide sahen sich gespannt an und erwarteten vom anderen, daß er die
     Karten auf den Tisch legen würde.
    »Schau, Lidia, ich bin
     nicht blind. Und ich habe vollstes Verständnis, du hast ein Problem,
     und das ist dein Problem, aber wir sollten darauf achten, daß es
     dein Problem bleibt.«
    »Was willst du?«
    »Du kokst, Lidia.«
    »Was?« Lidia
     Rauch erhob sich von ihrem Stuhl, mit empört geöffnetem Mund.
    »Jetzt spiel kein
     Theater. Ich bin nicht dein Richter, und das ist kein Verhör. Ich hab
     es schon länger gewußt, und du bist sehr vorsichtig gewesen. In
     letzter Zeit warst dus eben nicht mehr. Glaub mir, ich hab selber
     Erfahrungen gemacht, aller Art, ich rede nicht dumm daher. Anfangs denkt
     man, das sei eine Kleinigkeit, leicht zu kontrollieren, aber so leicht
     macht es dir die Droge nicht. Dein Konsum hat sich gesteigert, gib es
     einfach zu, und laß uns reden.«
    Lidia wartete eine halbe
     Minute, schweigend, erstarrt, ohne jedes Mienenspiel, dann setzte sie sich
     wieder. Und schenkte sich ein zweites Glas ein.
    »Du hast überhaupt
     kein Recht, dich über mich zu beschweren, oder?«
    Nabel lächelte, so
     jovial wie es ihm möglich war. »Nein, gar nicht. Aber du bist
     siebenundzwanzig. Laß dir von einem schon älteren Mann mit
     Zukunftsangst etwas sagen, ja?«
    »Komm ich

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