Aussortiert
Medien- und Werbebranche, die langsam aus dem gesichtslosen
Stadtviertel Mitte hierher abwanderten und ihre widerliche
Starbucks-Coffee-Mentalität mitbrachten. Der Bergmannkiez veränderte
sich zum Schlechteren, und es schien, als könne man nichts dagegen
tun.
Lidia überlegte, welche
Meinung Kai wohl von ihr hatte. Sicher war er ihr für vieles dankbar,
ebenso sicher sah er in ihr auch eine Streberin. Dabei tat sie, was sie
tat, doch nur, weil sie sonst nichts zu tun hatte. Normale Menschen haben
Hobbys oder gehen wenigstens hin und wieder ins Kino. Lidia konnte mit
Freizeit wenig anfangen. Alleine ins Kino zu gehen machte sie traurig. Mit
ihrem Freund traf sie sich inzwischen nur noch einmal die Woche, sonntags,
manchmal schliefen sie noch miteinander, zur Befriedigung angestauter
Grundbedürfnisse. Frank hatte seit neuestem wohl eine andere, er gab
es nicht zu, und Lidia war es so gut wie egal. Sie trennte sich nicht von
ihm, in der Hoffnung, daß er sich endlich von ihr trennen würde.
Sie legte viel Wert auf Harmonie, emotional aufgeladene Szenen waren ihr
ein Greuel und heulende Männer eine größere Zumutung als
brüllende.
Die Arbeit, die sich Lidia
auflud, hatte sie irgendwann unter sich begraben, nur das Koks, manchmal
ein wenig Speed, schaufelten ihr einigermaßen den Kopf frei. David,
ein ehemaliger Klassenkamerad, hatte es ihr besorgt, das Thema war zufällig
darauf gekommen, beim Klassentreffen im letzten Jahr, er hatte sie danach
angerufen und ihr etwas angeboten, sie hatte eingewilligt, wollte einfach
mal probieren, eine Vorstellung bekommen, um was es da ging. David war
achtundzwanzig, strafversetzter Streifenpolizist, ein verpickelter
Leptosom und auf Lidia scharf. Er bekam nie, was er von ihr wollte, doch
die Lieferungen wurden bald wöchentliche Regelmäßigkeit.
Anfangs fand Lidia, daß man um die Droge viel überzogenes Gedöns
machte, sie stellte keinerlei Abhängigkeit an sich fest, das Zeug
half ihr dabei, wach zu bleiben und bei Verstand. Manchmal bekam man durch
die Reizung der Nasenscheidewände eine Art Schnupfen, das war alles.
Und war eben nicht alles.
Nabel hatte recht. Die Abhängigkeit entwickelte sich schleichend. Die
Droge verführte dazu, sich überlegen zu fühlen; jenen
Glauben an die eigene Omnipotenz wollte man bald nicht mehr missen. Lidia
war nicht stark abhängig, sie gab von ihrem Lohn gerademal fünfzehn
Prozent für die Droge aus, was nicht ins Gewicht fiel, da sie
ansonsten mit Geld haushielt und ihre Freizeit am liebsten auf dem Sofa
verbrachte.
Nabels Standpauke war zur
rechten Zeit gekommen. Sie wollte selber etwas verändern. Ihr Leben
gefiel ihr nicht mehr. Schluß mit dem Freund machen, Schluß
mit dem Koks. Und etwas finden, ein Gegengewicht zum Alltag ihres Berufes,
etwas, das ihr wirklich Spaß bereitete. Was konnte das bloß
sein? Lidia kam sich vor, als sei sie krank oder behindert. Wieder beugte
sie sich über die Akte mit den Fallanalysen.
Das Handy klingelte. Es war
David. Ob er vorbeikommen solle?
Sie sagte: »Ja, komm
vorbei.« Wenn er erst hier war, würde sie ihm sagen, daß
er von nun an nie mehr vorbeikommen müsse. Aber als er dann da war,
gab sie ihm den Freundschaftspreis von hundert Euro für zwei Gramm,
die eine Woche lang ausreichen würden, sich allen Anforderungen
gewachsen zu fühlen.
»David?«
»Ja?«
»Woher beziehst du das
Zeug?«
»Fällt aus
Hosentaschen. Man schreit Razzia!, und nachher liegt es aufm Boden rum.«
»Du prüfst das
aber auf Beimischungen?«
»Naja, nicht ich, n
Kumpel in der Chemie. Wieso? Machst du dir Sorgen?«
»Belieferst du außer
mir noch andere?«
»Hee, was soll das?
Glaubst du, ich habn Ring aufgemacht oder was? Das ist ne Sache zwischen
dir und mir.« David gab sich Mühe, harmlos auszusehen. Lidia
hakte sich bei ihm ein.
»Hör mal, ich hab
n Problem. Mein Chef.«
»Chefs sind immer ein
Problem.«
»Er hat mir auf den
Kopf zu gesagt, daß ich schniefe.«
»Wer? Nabel? Na, der muß
gerade reden, wie der sich zuschüttet. Weiß doch jeder. Was
hast du geantwortet?«
»Ich habs zugegeben.«
»Was? Spinnst du? Biste
bescheuert? Nie etwas zugeben! Nie!«
»Es ist in Ordnung. Kai
ist in Ordnung. Aber weißt du was? Ich fühle mich vor ihm nicht
sicher.«
»Aha. Und?« David
wußte nicht, worauf Lidia hinauswollte. Ihm wurde mulmig.
»Könnte sein,
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