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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Medien- und Werbebranche, die langsam aus dem gesichtslosen
     Stadtviertel Mitte hierher abwanderten und ihre widerliche
     Starbucks-Coffee-Mentalität mitbrachten. Der Bergmannkiez veränderte
     sich zum Schlechteren, und es schien, als könne man nichts dagegen
     tun.
    Lidia überlegte, welche
     Meinung Kai wohl von ihr hatte. Sicher war er ihr für vieles dankbar,
     ebenso sicher sah er in ihr auch eine Streberin. Dabei tat sie, was sie
     tat, doch nur, weil sie sonst nichts zu tun hatte. Normale Menschen haben
     Hobbys oder gehen wenigstens hin und wieder ins Kino. Lidia konnte mit
     Freizeit wenig anfangen. Alleine ins Kino zu gehen machte sie traurig. Mit
     ihrem Freund traf sie sich inzwischen nur noch einmal die Woche, sonntags,
     manchmal schliefen sie noch miteinander, zur Befriedigung angestauter
     Grundbedürfnisse. Frank hatte seit neuestem wohl eine andere, er gab
     es nicht zu, und Lidia war es so gut wie egal. Sie trennte sich nicht von
     ihm, in der Hoffnung, daß er sich endlich von ihr trennen würde.
     Sie legte viel Wert auf Harmonie, emotional aufgeladene Szenen waren ihr
     ein Greuel und heulende Männer eine größere Zumutung als
     brüllende.
    Die Arbeit, die sich Lidia
     auflud, hatte sie irgendwann unter sich begraben, nur das Koks, manchmal
     ein wenig Speed, schaufelten ihr einigermaßen den Kopf frei. David,
     ein ehemaliger Klassenkamerad, hatte es ihr besorgt, das Thema war zufällig
     darauf gekommen, beim Klassentreffen im letzten Jahr, er hatte sie danach
     angerufen und ihr etwas angeboten, sie hatte eingewilligt, wollte einfach
     mal probieren, eine Vorstellung bekommen, um was es da ging. David war
     achtundzwanzig, strafversetzter Streifenpolizist, ein verpickelter
     Leptosom und auf Lidia scharf. Er bekam nie, was er von ihr wollte, doch
     die Lieferungen wurden bald wöchentliche Regelmäßigkeit.
     Anfangs fand Lidia, daß man um die Droge viel überzogenes Gedöns
     machte, sie stellte keinerlei Abhängigkeit an sich fest, das Zeug
     half ihr dabei, wach zu bleiben und bei Verstand. Manchmal bekam man durch
     die Reizung der Nasenscheidewände eine Art Schnupfen, das war alles.
    Und war eben nicht alles.
     Nabel hatte recht. Die Abhängigkeit entwickelte sich schleichend. Die
     Droge verführte dazu, sich überlegen zu fühlen; jenen
     Glauben an die eigene Omnipotenz wollte man bald nicht mehr missen. Lidia
     war nicht stark abhängig, sie gab von ihrem Lohn gerademal fünfzehn
     Prozent für die Droge aus, was nicht ins Gewicht fiel, da sie
     ansonsten mit Geld haushielt und ihre Freizeit am liebsten auf dem Sofa
     verbrachte.
    Nabels Standpauke war zur
     rechten Zeit gekommen. Sie wollte selber etwas verändern. Ihr Leben
     gefiel ihr nicht mehr. Schluß mit dem Freund machen, Schluß
     mit dem Koks. Und etwas finden, ein Gegengewicht zum Alltag ihres Berufes,
     etwas, das ihr wirklich Spaß bereitete. Was konnte das bloß
     sein? Lidia kam sich vor, als sei sie krank oder behindert. Wieder beugte
     sie sich über die Akte mit den Fallanalysen.
    Das Handy klingelte. Es war
     David. Ob er vorbeikommen solle?
    Sie sagte: »Ja, komm
     vorbei.« Wenn er erst hier war, würde sie ihm sagen, daß
     er von nun an nie mehr vorbeikommen müsse. Aber als er dann da war,
     gab sie ihm den Freundschaftspreis von hundert Euro für zwei Gramm,
     die eine Woche lang ausreichen würden, sich allen Anforderungen
     gewachsen zu fühlen.
    »David?«
    »Ja?«
    »Woher beziehst du das
     Zeug?«
    »Fällt aus
     Hosentaschen. Man schreit Razzia!, und nachher liegt es aufm Boden rum.«
    »Du prüfst das
     aber auf Beimischungen?«
    »Naja, nicht ich, n
     Kumpel in der Chemie. Wieso? Machst du dir Sorgen?«
    »Belieferst du außer
     mir noch andere?«
    »Hee, was soll das?
     Glaubst du, ich habn Ring aufgemacht oder was? Das ist ne Sache zwischen
     dir und mir.« David gab sich Mühe, harmlos auszusehen. Lidia
     hakte sich bei ihm ein.
    »Hör mal, ich hab
     n Problem. Mein Chef.«
    »Chefs sind immer ein
     Problem.«
    »Er hat mir auf den
     Kopf zu gesagt, daß ich schniefe.«
    »Wer? Nabel? Na, der muß
     gerade reden, wie der sich zuschüttet. Weiß doch jeder. Was
     hast du geantwortet?«
    »Ich habs zugegeben.«
    »Was? Spinnst du? Biste
     bescheuert? Nie etwas zugeben! Nie!«    
    »Es ist in Ordnung. Kai
     ist in Ordnung. Aber weißt du was? Ich fühle mich vor ihm nicht
     sicher.«
    »Aha. Und?« David
     wußte nicht, worauf Lidia hinauswollte. Ihm wurde mulmig.
    »Könnte sein,

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