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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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sprach aus, was angeblich viele so nur
     dachten. Und es kam an, weil tatsächlich viele so dachten. Von
     Kistner abgesegnet, beteten sie seine Parolen nach, wurden mit dem Gefühl
     belohnt, endlich etwas vom Herzen weg hinausgesagt zu haben, mutig und
     ehrlich gewesen zu sein. Sie bedachten dabei nicht, daß die
     Schweinezeitung vor allen anderen den Namen des Killers veröffentlichen
     und jeden Winkel seiner Herkunft im grellsten Licht beleuchten würde,
     wäre er erst einmal gefaßt.
    Lidia wartete den Moment ab,
     als sie mit Nabel allein im Büro saß. Die minzgrünen
     Lamellen waren zum Schutz gegen die drückende Hitze heruntergelassen,
     die daraus entstehende Düsternis trug nicht gerade dazu bei, beider
     Stimmung zu heben.
    Kistners Kolumne, in
     Millionenauflage gedruckt, hatte eine Flut von Denunziationen zur Folge.
     Anonyme Anzeigen nannten die Namen von unscheinbaren Menschen nebenan, die
     bitte unter die Lupe genommen werden sollten, entweder weil sie
     Hasenscharten, Brandnarben, eine kindliche Handschrift oder angeblich zu
     kleine Penisse hatten, arbeitslos, Säufer oder zu wenig
     mitteilungsbedürftig waren. Wahnwitzig. Kistner hatte die Stadt zur
     Jagd aufgefordert und jeden seiner Leser zum Blockwart befördert. Aus
     diesem Berg von Anschuldigungen sinnvolle Informationen herauszufiltern,
     war schier unmöglich.
    Lidia kam immer noch nicht
     mit dem Täterprofil klar beziehungsweise hatte sie, von Kollegen dazu
     gedrängt, ein provisorisches erstellen müssen, feilte aber
     dauernd daran herum, nie mit sich zufrieden. Das alles ergab kein rundes
     Bild.
    »Kai?«
    »Hmmhm?«
    »Ich hab aufgehört.«
    »Was?«
    »Du weißt schon,
     womit.«
    »Gut. Danke.«
    Lidia log ihn an, sie hatte
     ja noch nicht aufgehört, würde es erst versuchen müssen.
     Aber sie war wild dazu entschlossen, empfand sich deshalb nicht als Lügnerin.
    »Sag mal –«,
     fragte Nabel, »Kistner klingt in seiner Kolumne heute so
     psychologisch. Woher hat er das?«
    »Ich finde nicht, daß
     das psychologisch klingt.«
    »Für die Verhältnisse
     der Schweinezeitung schon. Hast du nicht selbst mal erwähnt, sexuelle
     Impotenz könnte der Schlüssel für die Motivation des
     Killers sein?«
    »Das liegt doch nahe.
     Sexuelle Frustration ist ein Hauptmotor für Aggressivität.«
    »Du hast also nicht mit
     Kistner geredet?«
    »Nein.«
    Nabel wurde mißtrauisch.
     Ein simples Nein? Kein empörtes Dementi?
    Aber er sprach die Sache kein
     zweites Mal an. Allein schon, weil er von Lidia zu abhängig war. Wozu
     das Arbeitsklima ohne Not mit Verdächtigungen vergiften?
    »Irgendwo«, sagte
     er stattdessen, »hat Kistner ja recht.«
    »Wie bitte?«
    »Naja, was er über
     den Mord in der Hasenheide sagt, stimmt. Diese Tat wirkt doch wie
     nachgeschoben, um sich wieder mal ins Spiel zu bringen. Und was die
     angebliche Feigheit der Tat angeht: Für einen im Töten
     ausgebildeten Menschen ist es leichter, jemanden, der das nicht erwartet,
     mit einem gezielten Stich ins Herz umzubringen, als ihn mit einem Schal zu
     erdrosseln.«
    »Du glaubst, daß
     der Täter eine Nahkampfausbildung hatte?«
    »Ich glaube alles, was
     mich weitermachen läßt.«
    »Schön.«
     Lidia tippte mit ihrem Bleistift ein Stakkato auf die lederne
     Schreibtischplatte.
    »In einem anderen Punkt«,
     rief sie quer durch das Büro, »hat Kistner, glaub ich, nicht
     recht.«
    »In welchem?«
    »Daß der Täter
     Bekennerschreiben hinterläßt, um irgendwann gefaßt zu
     werden. Dazu sind seine zu wenig phantasievoll, zu schlicht. Nein, ich
     glaube, daß der Täter seine Taten quasi signiert, aber kein
     Interesse dran hat, aufzufliegen.«
    »Das hat Kistner also
     nicht von dir?«
    »Kai! Liebst du mich
     denn gar nicht mehr?«
    »Doch. Ein bißchen.«
     Nabel flüsterte, sein Blutdruck stieg. Er mochte es nicht, wenn Lidia
     auf diese Art ironisch wurde.
    »Gutes Stichwort. Ich
     glaube, der Täter will ein bißchen Geisteskrankheit vortäuschen.«
    »Was bedeutet?«
    »Pure Lust am Töten.«
    »Und das ist nicht
     geisteskrank?«
    »Anders.« Lidia hätte
     gern konkreter werden wollen. Und ließ, verstummend, ihren Kopf hängen.
    Seidel rief zur
     Krisensitzung, forderte Ergebnisse. Am Ende mußte selbst er zugeben,
     daß von nichts nichts kommen kann. Nabels Leute, die Soko war
     inzwischen auf zwölf Ermittler aufgestockt worden, vergeudeten ihre
     Zeit damit, anonymen Hinweisen nachzugehen, nur, um irgend etwas zu tun.
     Die

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