Aussortiert
mit hohem Hals, Adlernase und streng gezogenem
Scheitel, zupfte ständig an seinem Krawattenknoten, als wolle er ihn
lockern und fände den Mut dazu nicht.
»Zu Ihren Diensten,
Herr Nabel, was kann ich für Sie tun?« Der Kriminalrat sah
nicht von seinen Papieren auf, in denen er blätterte.
»Sie können es
sich vermutlich denken. Das Mordopfer, Asante Myoki, wir haben ihn im
Verdacht, mit leichten Drogen gedealt zu haben. In unseren Computern
taucht er nicht auf. Keinerlei Vorstrafen. Da wollte ich Sie fragen
…«
»Mich? Mich wollen Sie
fragen, ob ich etwas über Herrn Myoki weiß?« Die Frage
klang weniger empört als vielmehr überrascht. Vielleicht ein
klein wenig belästigt.
»Das ist der übliche
Austausch zwischen den Abteilungen …«
»Neinnein, Nabel,
verstehen Sie mich nicht falsch, Sie sehen das ganz richtig. Ich wollte
keineswegs überheblich klingen. Myoki, ja …« König
zupfte am Krawattenknoten und dachte einen Moment lang nach, wozu er den
Kopf hob und die Luft laut durch die Nase einsog. »Kenn ich. Ich
will mich nicht loben, aber mein Namensgedächtnis, nun, ich muß
das erwähnen, nicht, daß Sie falsche Schlüsse ziehen, es
ist ein Segen, manchmal ein Fluch, egal. Asante Myoki, ja, Nigeria, soweit
ich mich erinnern kann.« König sah einen Stapel Papiere durch,
aber Nabel hatte den Eindruck, daß diese mit der Sache oder dem
Menschen nichts zu tun hatten und der Kriminalrat nebenher noch etwas
anderes erledigte. Immerhin war Königs Artikulation scharf und
schneidend. Kein einziges ›Äh‹ kam ihm über die
Lippen.
»In der Tat ist Herr
Myoki vorstrafenfrei. Wir haben ihn während der letzten beiden Jahre
elfmal verhaftet, nie konnte ihm was nachgewiesen werden und er wurde auf
freien Fuß gesetzt.« König zündete sich eine
Zigarette an, paffte daran und tippte einige Buchstaben in seinen PC.
»Genau wie ich gesagt habe.« Mit einem gewissen Stolz hob er
die Mundwinkel für Sekundenbruchteile, und Nabel begriff, daß
ihm hier ein Gedächtniskünstler eine kleine Vorstellung gegeben
und seine Angaben nur sicherheitshalber oder des beamtischen Ethos wegen
im PC überprüft hatte.
König zupfte erneut an
seinem Krawattenknoten, als würde der ihm die Luft abklemmen. »Er
lebte von der Hand in den Mund. Ein kleines Licht, nicht ernsthaft
verfolgungswürdig. Hat Gras vertickt und niemandem groß
geschadet.«
»Sie haben aber eine
Akte über Myoki?«
»Inoffiziell. Also
keine Akte, nur einen Merkzettel. Ein paar Protokolle. Es ist nicht so, daß
wir gar nichts hätten. Leider, fürchte ich, ist nichts davon für
Sie wertvoll. Myoki war ein Schuhputzer, ohne Verbindung zu schwereren
Kalibern. Belanglos.«
»Also auch keiner Ihrer
V-Männer?«
»I wo. Ach? Wo denken
Sie hin? V-Mann? So einer? Den Sie für ein Mittagessen kaufen können?
Der Gedanke belustigt mich. Naja. Wars das? Kann ich sonst noch irgendwie
helfen?«
Nabel stellte ein paar Fragen
allgemeiner Art, hauptsächlich, um dem ranghöheren Kollegen Zeit
zu stehlen. Beim Verlassen des Büros kam es ihm dennoch vor, als sei
soeben eine Audienz beendet worden, und er habe vergessen, den Ring des
Regenten zu küssen.
Lidia saß in ihrer hübsch
langgeschnittenen Zwei-Zimmer-Wohnung nicht weit vom Marheinekeplatz,
einer Gegend voller Geldwaschanlagen, die sich als kleine Restaurants,
Imbisse oder Bistros tarnten. Keine Stadt konnte so viel essen, die Hälfte
der Lokale hätte längst pleite gemacht haben müssen, wären
sie wirklich auf Gäste angewiesen gewesen. Immer mehr Russen, Kroaten
und Ukrainer kamen nach Berlin und gruben türkischen, serbischen und
einheimischen Gangs das Wasser ab. In diesem Viertel, dem Bergmannstraßenkiez,
war noch nicht allzuviel davon zu spüren, es hatte sich seinen
multikulturellen, in Maßen geldigen Charakter bewahrt, den Hauch von
Mittelmeer und Bazar, von Antiquariaten und Boutiquen, von
schwul-lesbischer Subkultur, renoviertem Altbau, revolutionärer
Vergangenheit und preiswertem Nahrungsangebot. Lidia lebte zwei Stockwerke
über dem Keller in der Schenkendorffstraße, in dem die Bewegung
2. Juni einst den entführten CDU-Spitzenkandidaten Lorenz
festgehalten hatte. Der Mythos blühte immer noch ein wenig,
wenngleich die Jugend zum größten Teil kaum noch wußte,
wer Rudi Dutschke gewesen war. Zum Kotzen fand Lidia die seichten Flegel
der
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