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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Bekennerschreiben wurden auf Internetseiten gezeigt, in der Hoffnung,
     daß jemand die Handschrift wiedererkennen würde. Fachleute
     waren sich inzwischen einig geworden, daß die Kindlichkeit der
     Buchstaben eine vorgetäuschte war. Das Alter des Urhebers schätzten
     sie mit fünfundzwanzig bis fünfundfünfzig äußerst
     vorsichtig ein. Niemand schien sich die Finger verbrennen zu wollen.
    Betrachtete man die Tatorte,
     ergab sich kein Muster. Charlottenburg, Neukölln, Schöneberg
     Grenze Tiergarten und wieder Neukölln an der Grenze zu Kreuzberg und
     Tempelhof.
    Wenigstens konnte man von
     einem männlichen Täter ausgehen. Messermorde werden so gut wie
     nie von Frauen ausgeübt, es sei denn, sie greifen während einer
     emotional eruptiven Situation, sozusagen außer sich, halb unbewußt,
     nach etwas Stählernem.
    Nabel fühlte sich in die
     Steinzeit zurückversetzt, als es noch keine DNA-Analysen gab. Weil an
     den Tatorten keinerlei DNA-Spuren gefunden wurden, mußte er vorgehen
     wie ein Steinzeitkriminaler. Demütigend. Nichtmal im Buschwerk fanden
     sich Abdrücke der Schuhe des Mörders, dazu war der Boden im
     August zu trocken. Nabel war sich sicher: Würde der Mörder jetzt
     aufhören, er würde nie gefunden werden, nie.
    Nabel führte Selbstgespräche,
     nachts, angetrunken auf dem Balkon, während er auf den Körnerpark
     hinuntersah, in dem eine Horde Jugendlicher Frisbee spielte, unter dem
     fahlen Schein der Laternen.    
    »Es muß dir klar
     sein: Irgendeinen Menschen zu töten ist furchtbar einfach, solange
     die Betonung auf irgendeinen liegt. Zusammenhänge, nur Zusammenhänge
     knüpfen das Netz, worin man sich verfängt. Wo kein Zusammenhang,
     da Auseinanderhang. Diaspora.«
    Hinter ihm ertönte aus
     kleinen Boxen das Streichquartett op. 96 von Dvořák, das
     sogenannte amerikanische.
    »Die Welt ist schlecht,
     geschieht ihr recht.« Seine Zusammenfassung der Lage kleidete sich
     in zunehmend simplere Weisheiten.
    Er wollte, daß Lidia
     endlich einmal stolz auf ihn war. Andererseits war sie ihm unheimlich
     geworden. Seit der Sache mit dem Schnee war Lidia kein leuchtender Schrein
     mehr, hatte einen Hintergrund, einen doppelten Boden bekommen, war eine
     ehemals monochrome, nun schillernde Persönlichkeit. Das besaß
     einen gewissen Reiz. Und auch wieder nicht. Gegen vier Uhr, völlig
     betrunken, legte sich Nabel schlafen.
    »Die Welt ist schlecht,
     ich bin es auch.«
    Ich bin ein beschissener
     Polizist, dachte er kurz vorm Wegsacken. Schade. Aber der Kosmos, durch
     Fernrohre betrachtet, ungeachtet der vielen schwarzen Löcher, ist
     bunt und sehr hübsch. O ja. Der Kosmos kennt keine Mörder.
     Derlei Detailkram hat im Big Picture keinen Platz. Dort würd ich gern
     mal Urlaub machen.
    Intermezzo in der Garage.
    Ich bewundere dich.
    Das solltest du. Immer und
     überall.
    Mach ich. Es entwickelt sich
     alles genau so, wie du es vorhergesagt hast.
    Wir sind ein gutes Team,
     nicht wahr?
    Das beste.
    Dennoch. Nentwig hättest
     du in Ruhe lassen sollen.
    Ich war mir bei ihm nicht
     sicher.
    Jetzt bist dus?

 
    6
    Jimmy Kistner suchte noch
     zweimal Kontakt zu Ahmed, den er für das schwächste, weil
     schlechtestbezahlte Mitglied in Nabels Team hielt. Ahmed machte seinem
     Chef deswegen Meldung. Die Reaktion war eigenartig. Nabel erlaubte ihm
     nicht nur ein Treffen, er ermutigte ihn sogar, eine gewisse Gesprächsbereitschaft
     zu signalisieren, solange dabei keine wichtigen Fahndungserkenntnisse
     über den Tisch wandern würden.
    »Ähmm, Chef, ich
     will nicht frotzeln, aber – welche wichtigen Fahndungserkenntnisse
     meinen Sie genau? Wir haben doch kaum was.«   
    »Bedauerlicherweise,
     aber das mußt du ihm nicht auf die Nase binden. Hör dir mal an,
     was er anbietet. Vielleicht gibt uns das irgendwann mal ein Druckmittel
     gegen ihn in die Hand.«
    »Wozu?«
    »Für den Fall, daß
     er noch weiter ausflippt. Und gegen uns hetzt. Und das wird er, wenn wir
     nicht bald vorankommen. Wenn wir dann den Versuch einer Beamtenbestechung
     entgegenhalten könnten, wäre das enorm hilfreich.«
    »Schlau. Aber –
     ich darf keine Kohle annehmen?« »Selbstverständlich
     nicht. Laß ein Mikro mitlaufen.«
    Nabel hatte das Manöver
     mit Seidel abgesprochen, der von Kistners ›gemäßigter‹
     Berichterstattung ziemlich enttäuscht war und zugab, einen fragwürdigen
     Kurs gefahren zu sein. Aufgrund Kistners Bevorzugung hatte man Sympathien
     seitens des

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