Aussortiert
überfallartig an, um ein paar von ihnen zu durchsuchen,
nichts zu finden und wieder abzuziehen. Wird mal einer verhaftet, treten
drei andere an dessen Stelle. Das Drogendezernat hat diesen Kampf längst
aufgegeben, zeigt zwar, zur Beschwichtigung der Anwohner, hin und wieder
Präsenz, um sich keine Vorwürfe einzuhandeln, findet es jedoch
sinnvoller, sich um fettere Fische zu kümmern. Die Kleindealer der
Hasenheide führen alles in allem ein beschauliches Leben, in die
Gegend trauen sich keine Neonazi-Schläger, und der einzige Ärger,
mit dem sie rechnen müssen, sind besorgte Mütter, die sie
anschnauzen und als Gesindel beschimpfen. Aber selbst das kommt eher
selten vor. Nachts ist der Park unbeleuchtet, die Stadt muß Strom
sparen. Tagsüber im Sommer grillen vorrangig Türken trotz
offiziellen Grillverbots oft halbe Lämmer am Spieß, Musikanten,
Gymnastikgruppen und Schattenboxer treiben sich auf den Rasenflächen
herum. Liebespaare treffen sich am zugeschilften Tümpel, und der Lärm
vom nahen Freibad ist weithin zu hören.
Neben dem kleinen Tierpark
– ein Gehege voller Pfaue, Rehe und Ziegen – hocken die
Schach- und Skatspieler, denen ein geschäftstüchtiger Türke
fünfmal pro Tag eisgekühltes Bier und belegte Brote verkauft,
mit einer lächerlich geringen Gewinnspanne. Die Hasenheide ist ein
preiswerter Zeitvertreib. Wenn man gar nichts zu tun hat, kann man auf dem
umzäunten Hundespielplatz sitzen und lustvoll tobenden Vierbeinern
zusehen.
Nabel fand immer, die
Hasenheide sei doch der schönste und vielfältigste Park Berlins.
Er kam oft hierher, dachte über dies oder jenes nach, sah
halbbetrunkenen Schachspielern zu oder spazierte durch den
Rhododendronhain. Zwischen der Trinkhalle mit ihrem hübschen
50er-Jahre-Vordach auf dünnen weißen Stelzen und dem
Freilichtkino, das an Sommerabenden rege besucht wurde, saß im
Rosengarten Asante Myoki und dachte ganz ähnlich. Er hatte ein paar
Gramm Afghanen zu verkaufen, aber die Hitze machte ihn träge, und er
verlor sich in Träumereien, beobachtete die Kinder auf dem Spielplatz
und erinnerte sich seiner eigenen Kindheit im senegalesischen Lehmhüttendorf.
Myoki war neunundzwanzig und
dank einer politisch engagierten Lesbe, die ihn pro forma geheiratet
hatte, glücklich integriert in die bundesrepublikanische
Gesellschaft. Er hatte ihr dazu vortäuschen müssen, aus Nigeria
zu stammen, aber die Lesbe hatte kaum nachgefragt, sie wollte möglichst
schnell das getan haben, was sie für ihre humane Pflicht hielt.
Asante, der nachts in einem Zimmer mit vier anderen Afrikanern schlafen mußte,
war von seinem sozialen Aufstieg ins Paradies begeistert. Er hatte es
geschafft, besaß eine Aufenthaltsgenehmigung und freute sich seines
kargen Lebens. Wenn er bis zum Abend drei Gramm Hasch verticken konnte,
waren Ernährung und Miete gesichert. Fast entrückt, die Augen
halb geschlossen, genoß er den Tag und vertraute darauf, daß
alles weitergehen würde, irgendwie. Ein Schatten schob sich zwischen
ihn und die Sonne. Jemand sprach ihn an, nicht mit Worten, nur mit einem
Zwinkern. Myoki stand auf und trottete dem Kunden hinterher, sein letzter
Weg führte ihn in die Büsche rund ums Freiluftkino. Dort bekam
er ein Messer ins Herz gerammt, sein empörter, entsetzter Schrei
änderte nichts, er starb mit großen, staunenden Augen. Daß
ihm ein Schildchen an die blutende Brust geheftet wurde, nahm er nur noch
sozusagen im Vorübergehen wahr.
»Hier liegt ein Toter,
vermutlich Messermord, in der Hasenheide. Zettel mit lila Handschrift.«
»Ach, echt?«
Ahmed ging es darum, seinen Frust und Überdruß zu ventilieren,
er nahm sich aber sofort zusammen und ließ sich den Fundort
beschreiben. Danach informierte er wie gewohnt zuerst Lidia, dann Nabel
und fuhr die knapp zwei Kilometer mit dem Fahrrad.
Zu schwarz, das Schwein, für
Gott. Aussortiert. Einer weniger.
Die Spurensicherung war schon
da, der Tatort weit räumig abgesperrt. Eine Plane lag über dem
Toten, Bäume der Umgegend wurden von Kindern erklettert, die einen
Blick erhaschen wollten. Tatzeugen gab es keine.
»Messerstich, einer.
Sehr präzise ins Herz gesetzt.« Soviel ließ sich jetzt
schon sagen.
»Am hellichten Tag!«
fügte der Arzt hinzu, aber das war keine überraschende
Neuigkeit, eher ein persönlicher Einwand.
»Wann sollte sich ein
Killer hier sonst sicher
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