Aussortiert
möchte ich nicht
nennen. Diese Aussage mache ich, weil mir Anonymität garantiert
wurde, und ich möchte, daß dieser Passus im Protokoll ausdrücklich
vermerkt wird.«
Nabel las das von Lidia
abgetippte Protokoll nochmal vor. Der momentan arbeitslose Schauspieler
nickte bei fast jedem Satz und nahm sich einen Kugelschreiber, um seine
Unterschrift zu leisten.
»Sie müssen das
nicht unterzeichnen«, grummelte Nabel. »Die Aussage ist
anonym.«
»Stimmt. Dann lieber
nicht.«
»Ich bewundere Ihren
beispiellosen Mut. Haben Sie denn keine Angst? Sie sind immerhin bedroht
worden. Unter anderem mit dem Tod, wenn ich das richtig verstanden habe.«
Der Schauspieler verschränkte
die Arme vor der Brust. »Anonyme Aussagen dürfen keine
Verwendung finden vor Gericht. Sie werden mich nicht linken, oder?«
»Nein, Sie haben uns
geholfen. Dieses Protokoll bleibt Verschlußsache. Versprochen.«
Der Schauspieler stand auf.
Ein hagerer Mensch mit zu langen Beinen und Armen, der Schwierigkeiten zu
haben schien, seine Motorik zu koordinieren. Er mußte sich für
einen Moment am Tisch festhalten, so, als ob ihm die Beine eingeschlafen
seien.
»Hören Sie, Herr
Kommissar! Mit Mut hat das nichts zu tun. Ich hab nicht mehr lang zu
leben. Das Scheißkoks hat den Krankheitsverlauf extrem beschleunigt.
Falls kein Wunder geschieht, bin ich in einem Jahr tot. In diesem Fall können
Sie das Protokoll dann doch zusammen mit meinem Namen verwenden, hören
Sie?«
Nabel schüttelte den
Kopf. »Kann ich nicht. Leider. Die Gesetze sind hier sehr eindeutig.
Entweder Sie geben das Protokoll frei oder es bleibt auf alle Zeit hin
anonym und vor Gericht völlig wertlos. Ich könnte Ihnen höchstens
Polizeischutz anbieten, Sie könnten die Zeit bis zum Prozeß im
Ausland verbringen. Wie wär das?«
»Prozeß gegen
wen?«
»Stellt sich dann
heraus.«
Der Schauspieler winkte ab.
Das Wesentliche am Menschen sei nun einmal die Hoffnung bis zuletzt, der
Aufschub des eigenen Verschwindens um jeden Preis. Herr Kommissar werde
das sicher verstehen.
»Aber ja. Unsere
Spezies ist nun einmal schwach und selbstsüchtig, jeder ist darauf
trainiert, skrupellos mehr aus sich zu machen als er ist.«
»Sie sagen es. Sie drücken,
was gesagt werden muß, in klaren Worten aus. Ich fühle mich
scheiße. Bin rachsüchtig. Kistner ist tot, was solls? Wie blöd
ist das, gegen den Sensenmann zu kämpfen? Ich habe wenigstens auch
gute Zeiten gehabt. Gute Nacht, Herr Kommissar!«
Nabel fühlte sich durch
das moribunde Gerede eher peinlich als sonstwie berührt. Aber er drückte
dem Zeugen dennoch dankbar die Hand. Durch seine Aussage hatten zuvor
blasse Theorien entscheidend an Gestalt gewonnen.
Kistner ein Dealer. So
lautete, effektvoll formuliert, in drei Worten die Essenz. Das Thema wurde
nun so brisant, daß Nabel nicht länger individuell ermitteln
konnte, ohne seinen direkten Vorgesetzten wenigstens in Teilen zu
unterrichten.
Seidel reagierte hysterisch.
Schüttelte sich. Es käme gar nicht in Frage, die Kunden auf der
Liste zu bespitzeln, das käme einem Kesseltreiben gleich. Ein
Zusammenhang mit den Morden der lila Serie sei in keinster Weise bewiesen,
liege noch nicht einmal nahe. Was das solle? Mit einem Handtuch tupfte er
Schweiß von seiner Stirn. »Vergessen Sies!«
Aufgrund anonymer Aussagen
mache sich Seidel nicht die Schweinezeitung zur Feindin. Das sei Sache des
Drogendezernats. Im übrigen pflege der Rechtsstaat nicht gegen Tote
zu ermitteln, wo solle das hinführen?
»Steigen Sie nicht
barfuß in den Bienenstock! Ermitteln Sie in aller Ruhe, Nabel,
finden Sie den Mörder, und wenn wir ihn haben, kann von mir aus das
Thema Drogen sachte angeschnitten werden. Aber diese Liste bleibt im
Giftschrank! Ich habe sie nie zu Gesicht bekommen. Keine Diskussion.«
Ahmed, als er das Wort
Videomaterial hörte, ließ die Zunge heraushängen und
hechelte laut.
Es gab Mitglieder der Soko,
die das komisch fanden und grinsten.
Nabel fragte ins Rund, ob in
Kistners Wohnung Videos gefunden und gegebenenfalls gesichtet worden
seien. Selbstverständlich sei das geschehen, antwortete die Basemann,
es habe sie drei Tage ihres Lebens gekostet. Es seien aber nur aus dem
Fernseher aufgenommene Spielfilme und ähnliches zum Vorschein
gekommen. Kistner habe, wie heutzutage üblich, nicht mehr sehr viele
Videokassetten besessen, dafür
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