Aussortiert
Verschwörung? War die Lizenz zum Zupfen ausgegeben worden?
»Was ist denn?«
»Verzeihung, ich habe
Ihnen eine Frage gestellt.«
Nabel hatte nichts
mitbekommen. Was für eine Frage?
Ob die Sache erledigt sei? Ob
man die Filiale wieder öffnen dürfe? Nein, sagte Nabel und
dachte übertrieben lange nach, nein, erst müßten alle
vorhandenen Lebensmittelkontingente überprüft werden, um jedes
Eigenverschulden des Betriebes auszuschließen. Nabel sagte das
hauptsächlich deshalb, weil der Manager ihn am Ärmel gezupft
hatte. Demütigend. Was bildete der Kerl sich ein? Ja, allerdings könne
das Tage dauern, durchaus, na und? Berlin sei deswegen nicht zum Hungern
verdammt. Der Manager verschränkte auf Nabels letzte Bemerkung hin
die Arme und wirkte beleidigt.
Die Obduktion ergab, daß
Charles Wilkins mit einem Cocktail aus ordinärem Rattengift und einer
kleinen Dosis Zyankali vergiftet worden war. Das machte die Sache
interessant, denn Rattengift war an jeder Ecke zu haben, Zyankali nicht.
Dachte Nabel.
Dr. Dr. Ewers widersprach
ihm. »Nee, nee. Hier in Berlin gibt es alles, geh immer davon aus,
Kai. Alte SS-Zyankalikapseln, deren Inhalt möglicherweise noch wirkt,
kann man bei spezialisierten Militariasammlern bekommen, das ist teuer,
aber möglich. Diverse Geheimdienste hatten auch welches, da kann man
zum Beispiel über Russen drankommen. Wenn man in die richtigen
Kneipen geht.«
Es war erfrischend kühl
in der Pathologie. Ewers hielt die Daten aus dem Labor in der Hand, hielt
sie gegen das von schräg oben einfallende Licht, als würden so
noch verborgene Informationen sichtbar.
»Wozu die Mischung,
Heinz?«
»Ich nehm mal an, der Mörder
wollte mit dem Zyankali sicherstellen, daß das Opfer stirbt, die
Dosis war aber so gering gewählt, daß es kein schneller Tod
sein konnte. Das Rattengift ist sozusagen der Zirkusteil, für den
Schaum, für den Schmerz und den Ekelfaktor.«
Dr. Dr. Heinz Ewers, achtundfünfzig,
verfügte selbst über eine enorme Körperfülle, und er
war jemand, der jeden zweiten Satz mit einem melancholischen Seufzer
untermalte.
»Sieh zu«, riet
er Nabel, »daß du das Arschloch bald zu fassen bekommst. Ja?«
Der weißbärtige
Arzt klingelte nach seinem Assistenten, der den Leichnam vom Sektionstisch
auf eine Metallbahre wuchtete.
Eines war Nabel klar. Das
Opfer wurde zufällig ausgewählt, denn niemand kann vorhersagen,
wer wann wo einen Burger essen geht, es sei denn jemand, der mit den
Gewohnheiten des Opfers äußerst gut vertraut ist. Aber Wilkins
war im Ausland – physikalisch gesehen in einem chaotischen Zustand
–, und er reiste allein – und – ach was, alles andere
als ein Zufall war viel zu unwahrscheinlich. Hätte nur neue
Kopfschmerzen verursacht.
Nabel schnaubte mißmutig.
Morde mit Zufallsopfern, ohne individuell zugeschnittenes Motiv, hatten
die geringsten Aufklärungsquoten, das wußte jeder im Team.
Im Büro brachte Lidia
eben das Fax mit dem Ergebnis aus der Untersuchung des Triple-Whoppers,
der nur zu zwei Dritteln Wilkins’ Heißhunger überstanden
hatte.
Es gab daran nichts zu
beanstanden. Das Gift hatte sich allein in der Cola befunden.
»Ist ja auch logisch«,
meinte Lidia. »So ein Fastfoodrestaurant ist mittags meistens gut
besucht, und wenn nun jemand den Burger eines anderen besprühen oder
sonstwie behandeln würde, das würde doch auffallen, oder? Aber
fast jeder nimmt sich ein Getränk, und egal welches Getränk es
ist, es gibt für alle nur eine Form von Becher. Der läßt
sich schnell mal austauschen.«
Wo sollte man anfangen? Bei
den Angestellten? Konnte das Gift bereits am Ausschank in die Cola
gekommen sein? Gab es Zeugen? Es gab Zeugen, die glaubhaft bezeugten, daß
Wilkins umfiel und Grünschleim kotzte. Einer von denen hatte gefragt,
ob es für diese Auskunft ein bißchen Zeugengeld gebe. Neuköllner
Verhältnisse eben. Seitdem mußte Ahmed nur das Wort Zeugengeld
aussprechen, und alle im Büro verbogen sich vor Lachen, selbst Lidia,
sonst die pure Selbstbeherrschung in Person. Es war die typische Art von
Fall, die Witzeleien anzog wie ein Kadaver die Geier.
Wo lag das Motiv?
Lidia hatte vermutlich recht.
Wahrscheinlich wollte ein durchgeknallter Pubertierender von eigener Hand
töten, wollte einen Menschen sterben sehen. Was aber, wenn man das
Motiv ernst nahm? Wenn der Mörder wirklich einen
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