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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Verschwörung? War die Lizenz zum Zupfen ausgegeben worden?
    »Was ist denn?«
    »Verzeihung, ich habe
     Ihnen eine Frage gestellt.«
    Nabel hatte nichts
     mitbekommen. Was für eine Frage?
    Ob die Sache erledigt sei? Ob
     man die Filiale wieder öffnen dürfe? Nein, sagte Nabel und
     dachte übertrieben lange nach, nein, erst müßten alle
     vorhandenen Lebensmittelkontingente überprüft werden, um jedes
     Eigenverschulden des Betriebes auszuschließen. Nabel sagte das
     hauptsächlich deshalb, weil der Manager ihn am Ärmel gezupft
     hatte. Demütigend. Was bildete der Kerl sich ein? Ja, allerdings könne
     das Tage dauern, durchaus, na und? Berlin sei deswegen nicht zum Hungern
     verdammt. Der Manager verschränkte auf Nabels letzte Bemerkung hin
     die Arme und wirkte beleidigt.   
    Die Obduktion ergab, daß
     Charles Wilkins mit einem Cocktail aus ordinärem Rattengift und einer
     kleinen Dosis Zyankali vergiftet worden war. Das machte die Sache
     interessant, denn Rattengift war an jeder Ecke zu haben, Zyankali nicht.
     Dachte Nabel.
    Dr. Dr. Ewers widersprach
     ihm. »Nee, nee. Hier in Berlin gibt es alles, geh immer davon aus,
     Kai. Alte SS-Zyankalikapseln, deren Inhalt möglicherweise noch wirkt,
     kann man bei spezialisierten Militariasammlern bekommen, das ist teuer,
     aber möglich. Diverse Geheimdienste hatten auch welches, da kann man
     zum Beispiel über Russen drankommen. Wenn man in die richtigen
     Kneipen geht.«
    Es war erfrischend kühl
     in der Pathologie. Ewers hielt die Daten aus dem Labor in der Hand, hielt
     sie gegen das von schräg oben einfallende Licht, als würden so
     noch verborgene Informationen sichtbar.
    »Wozu die Mischung,
     Heinz?«
    »Ich nehm mal an, der Mörder
     wollte mit dem Zyankali sicherstellen, daß das Opfer stirbt, die
     Dosis war aber so gering gewählt, daß es kein schneller Tod
     sein konnte. Das Rattengift ist sozusagen der Zirkusteil, für den
     Schaum, für den Schmerz und den Ekelfaktor.«
    Dr. Dr. Heinz Ewers, achtundfünfzig,
     verfügte selbst über eine enorme Körperfülle, und er
     war jemand, der jeden zweiten Satz mit einem melancholischen Seufzer
     untermalte.
    »Sieh zu«, riet
     er Nabel, »daß du das Arschloch bald zu fassen bekommst. Ja?«
    Der weißbärtige
     Arzt klingelte nach seinem Assistenten, der den Leichnam vom Sektionstisch
     auf eine Metallbahre wuchtete.
    Eines war Nabel klar. Das
     Opfer wurde zufällig ausgewählt, denn niemand kann vorhersagen,
     wer wann wo einen Burger essen geht, es sei denn jemand, der mit den
     Gewohnheiten des Opfers äußerst gut vertraut ist. Aber Wilkins
     war im Ausland – physikalisch gesehen in einem chaotischen Zustand
     –, und er reiste allein – und – ach was, alles andere
     als ein Zufall war viel zu unwahrscheinlich. Hätte nur neue
     Kopfschmerzen verursacht.
    Nabel schnaubte mißmutig.
     Morde mit Zufallsopfern, ohne individuell zugeschnittenes Motiv, hatten
     die geringsten Aufklärungsquoten, das wußte jeder im Team.
    Im Büro brachte Lidia
     eben das Fax mit dem Ergebnis aus der Untersuchung des Triple-Whoppers,
     der nur zu zwei Dritteln Wilkins’ Heißhunger überstanden
     hatte.
    Es gab daran nichts zu
     beanstanden. Das Gift hatte sich allein in der Cola befunden.
    »Ist ja auch logisch«,
     meinte Lidia. »So ein Fastfoodrestaurant ist mittags meistens gut
     besucht, und wenn nun jemand den Burger eines anderen besprühen oder
     sonstwie behandeln würde, das würde doch auffallen, oder? Aber
     fast jeder nimmt sich ein Getränk, und egal welches Getränk es
     ist, es gibt für alle nur eine Form von Becher. Der läßt
     sich schnell mal austauschen.«
    Wo sollte man anfangen? Bei
     den Angestellten? Konnte das Gift bereits am Ausschank in die Cola
     gekommen sein? Gab es Zeugen? Es gab Zeugen, die glaubhaft bezeugten, daß
     Wilkins umfiel und Grünschleim kotzte. Einer von denen hatte gefragt,
     ob es für diese Auskunft ein bißchen Zeugengeld gebe. Neuköllner
     Verhältnisse eben. Seitdem mußte Ahmed nur das Wort Zeugengeld
     aussprechen, und alle im Büro verbogen sich vor Lachen, selbst Lidia,
     sonst die pure Selbstbeherrschung in Person. Es war die typische Art von
     Fall, die Witzeleien anzog wie ein Kadaver die Geier.
    Wo lag das Motiv?
    Lidia hatte vermutlich recht.
     Wahrscheinlich wollte ein durchgeknallter Pubertierender von eigener Hand
     töten, wollte einen Menschen sterben sehen. Was aber, wenn man das
     Motiv ernst nahm? Wenn der Mörder wirklich einen

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