Aussortiert
mehr aussagen können.« Ahmed war müde,
maulig und von Ehrenwachen pro forma hielt er um diese Nachtzeit wenig bis
gar nichts. Nabel wurde barsch. »Wir müssen wenigstens so tun,
als könne König noch was sagen.«
»Ach so. Kapiert. Ich
bin echt stutzig von Begriff.«
Nabel klingelte Lidia raus
und schilderte, was passiert war. Wobei er das Gefühl hatte, nicht zu
wissen, was eigentlich passiert war.
»Gabs denn ne Botschaft
am Tatort?«
»Nein.«
»Dann hat es mit uns
erst mal gar nichts zu tun.«
»Vielleicht nicht. Ich
möchte aber, daß es mit uns was zu tun hat. Gottverfluchte
Kacke! Es soll was mit uns zu tun haben, notfalls besorg ich mir lila
Tinte und schreib selber eine Botschaft!«
»Schlaf dich erstmal
aus, Kai.«
»Was?«
»Du hörst dich völlig
hysterisch an. Du kannst schlafen gehen, ich kann wieder schlafen gehen,
und morgen werden wir den Fall vielleicht übertragen bekommen. Gute
Nacht!«
Nabel und seine Leute bekamen
den Fall tatsächlich übertragen, auch wenn es momentan zur lila
Serie keinerlei sichtbaren Bezug gab. Seidel hatte sich beim Innensenator
der Stadt deswegen mächtig ins Zeug gelegt und unter Zuhilfenahme
nebulösester Phrasen Nabel die notwendige Rückendeckung besorgt.
Er hatte sich von seiner besten Seite gezeigt.
Der Presse gegenüber
sprach man von einem Verkehrsunfall mit Fahrerflucht. Königs
Verletzungen stellte man als ernst, aber nicht lebensbedrohlich dar. Das
genügte, um die Journalisten maßlos zu langweilen und die
Berichterstattung in den Lokalteil zu verbannen.
Leider verringerte sich der
Spielraum allzubald. Um 10 Uhr 30 morgens wurde aus dem Krankenhaus Königs
Hirntod gemeldet. Nabel verbot den Ärzten, dies offiziell
bekanntzugeben, der Körper des Kriminalrats solle weiter an die
Beatmungsmaschine gekoppelt bleiben, solle mit allen Mitteln vegetativ am
Leben erhalten werden. Es galt, Zeit zu gewinnen und die Gegenseite
– wer immer das war zu verunsichern.
Als Nabel mittags Königs
Büro betrat, registrierte er zwiespältige Gefühle in sich.
Da war zwar ehrliche Trauer für
den hingeschlachteten Kollegen, auch empfand er tiefe Betroffenheit, was
die Umstände eines solchen Abgangs von der Welt anging, und dennoch
– jetzt an Königs Schreibtisch zu sitzen, in dessen Revier nach
Belieben wühlen zu können und selbst gesund und am Leben zu sein
– das fühlte sich enorm gut an. Auf archaische Weise großartig.
Ein solcher Tod,
philosophierte Nabel und rührte in seinem Kaffee, werde unterbewußt
wohl immer ein wenig gefeiert, als wäre der eigene dadurch
aufgeschoben, auf der Liste ein wenig nach hinten gemogelt worden. Lidia
benickte den banalen Gedanken und legte ihre Stirn in Falten. Was nun in
Sachen Pfeifer zu geschehen habe?
»Ganz klar.« König
wurde vor dem Mietshaus überfahren, in dem Pfeifer wohnte. Pfeifer
blieb verschwunden, ergo? Nabel ließ eine Fahndung nach ihm raus und
fühlte sich kraftvoll und entschlußfreudig. Eine andere Stimme,
vielmehr eine übergeordnete Instanz in ihm, verurteilte dieses Gefühl
als Selbstherrlichkeit. Andererseits, dachte Nabel, ist es nunmal, wie es
ist.
Weswegen? Das war die große
Frage. Lidia stellte sie noch einmal laut: Weswegen?
Ein Mordanschlag auf einen
Kriminalrat war ein ganz anderes Kaliber als der Mord an einem Kleindealer
in der Hasenheide. Wer sich zu so etwas entschließt, ist entweder
beneidenswert dumm, größenwahnsinnig oder nimmt bewußt
den Krieg in Kauf.
»Was«, fragte
Lidia, »kann den Täter veranlaßt haben, auf diese
Notbremse zu treten?«
Nabel ließ Königs
Schreibtisch öffnen und entdeckte in einer der Schubladen Akten der
Soko Lila. Er wunderte sich ziemlich laut darüber, wie diese ohne
offizielle Anfrage in Königs Besitz kommen konnten.
»Du solltest lieber
froh darüber sein, daß sie noch immer da sind, Kai. Und?«
»Und was?«
»Irgendwas, das
Aufsehen erregt?«
»Nein.« Nabel blätterte
die Mappe durch.« Warte mal. Doch. Hier.«
Er hielt Lidia eine Seite aus
den Akten vor die Nase. Der Name des dritten Opfers, des Heizungsbauers
Nentwig, war mit Rotstift doppelt unterstrichen.
Ahmed brachte nachmittags
neue Erkenntnisse der Spurensicherung. Kistners Wohnung war definitiv
nicht aufgebrochen worden. Jeder Versuch, das Schloß mit einem
Dietrich zu öffnen, hätte zumindest winzige Kratzspuren
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