Aussortiert
hinterlassen. Kistner besaß auch kein gängiges, leicht zu
überlistendes Türschloß, sondern ein sehr exklusives, laut
Werbung nahezu einbruchssicheres der Firma Brosche & Söhne.
Lidia und Kai sahen sich an
und schlugen beide gleichzeitig die Augen nieder.
Pfeifer saß im Zug nach
Frankfurt. Es war zwei Tage her, daß König ihn auf Nentwig
angesprochen hatte. Pfeifer war aus allen Wolken gefallen, seine
Schulterblätter waren schwer geworden, sein Mund stand für
Sekunden offen und er hatte Glück, daß sich König gerade
in die Zeitung vertiefte, somit von der Fassungslosigkeit seines
Mitarbeiters nichts mitbekam.
»Nentwig?«
»Der Heizungshauer
Nentwig. Das dritte Opfer in der Serie Lila.«
»Was ist mit dem?«
Pfeifer tat, als könne er mit dem Namen wenig anfangen. König
verzichtete darauf, zu bohren. Er hatte kurz mal eben ins Blaue
geschossen, jetzt entschloß er sich spontan um und wiegelte ab.
»Schon gut, David, war
nur so ne Idee. Wahrscheinlich Unsinn.«
Pfeifer kannte seinen Chef zu
gut, um nicht zu merken, wenn der sich zurücknahm.
Aus irgendeinem Grund war König
auf den Namen des Heizungsbauers gestoßen. Pfeifer verabschiedete
sich betont nonchalant, saß danach stundenlang in seiner Wohnung und
überlegte, was er tun sollte. Vielleicht besser gar nichts. Aber wenn
er doch etwas unternehmen sollte, dann schnell. Wäre König ein
unfähiger Polizist gewesen – leider war er das Gegenteil davon
– und dennoch konnte man hoffen, daß … Nein, konnte man
nicht. Pfeifer wählte auf seinem Handy, nicht auf seinem normalen
Handy, sondern auf dem, das er unter falschem Namen angemeldet hatte, eine
Nummer. Eine tiefe Stimme sagte:
»Ja?«
»Gibt ein Problem. Ich
möchte Ümal sprechen.«
Die tiefe Stimme sagte,
Ümal lasse ausrichten, es gebe momentan keinen Grund für eine
Unterhaltung. Wenn sich das ändere, würde man es ihn wissen
lassen.
»Ich habe etwas enorm
Wichtiges zu melden.«
Danach hatte Pfeifer eine
öffentliche Telefonzelle gesucht und enorm Wichtiges gemeldet.
»Ich geb es weiter.
Sonst noch was’?«
Er hatte es mit Leuten zu
tun, die nicht lange überlegten und bei ihren Entscheidungen
radikalen Lösungen stets den Vorzug gaben. Kurz dachte er daran, König
zu warnen, aber das wäre einer Beichte gleichgekommen. Einer ohne
Vergebung, mit allen Konsequenzen.
»Nein.«
Pfeifer hatte ein so
schlechtes Gewissen, daß er die ganze Nacht keinen Schlaf fand. Im
Endeffekt ging es ihm nicht um König, viel mehr um sich selbst. Er
befürchtete einen Dominoeffekt. Alles würde zusammenkrachen,
alles. Vielleicht nicht alles, aber vieles, und es würde in jedem
Fall über ihm zusammenkrachen, würde ihn begraben. Mit seinem
Anruf hatte er sich etwas Zeit erkauft, hatte sich – vielleicht
– als nützlich erwiesen, hatte auf jeden Fall Verwirrung
gestiftet, aber am Ende gab es für ihn hierzulande keine Zukunft.
Pfeifer lief von Bank zu
Bank, lenkte Gelder auf Auslandskonten um, kam nicht mehr in die Nähe
seiner Wohnung und litt unter massiver Furcht, auf Schritt und Tritt
beschattet zu werden.
Sobald er eine Straße
entlanglief, nahm er an jeder Ecke verdächtige Gestalten wahr, dann
benutzte er Hinterhöfe und Passagen, ließ sein Auto stehen und
winkte vorbeifahrenden Taxis. Vierundzwanzig Stunden benötigte er, um
seinen Kram zu ordnen, Spuren zu verwischen, falsche Spuren zu legen,
Dokumente zu vernichten. Einen Flieger online zu buchen war erstens
unklug, zweitens nicht nötig. Das konnte am Flughafen erledigt
werden, gegen einen geringen Aufpreis.
Als er vom Attentat auf König
hörte, war es noch kein Attentat, nur ein schwerer Unfall mit
Fahrerflucht. Es hieß, König würde überleben. Das
freute Pfeifer, wenngleich er daran zweifelte. Zu diesem Zeitpunkt saß
er in der Wohnung eines früheren Freundes und nahm wehmütig
Abschied von Berlin. Ein für alle Mal Abschied nehmen von Berlin,
dann den Abendzug nach Frankfurt und von dort aus flugs in die Karibik.
Gar nicht so üble Aussichten, eigentlich. Mit einem falschen Paß
hätte er sich besser gefühlt, aber auf falsche Pässe waren
die Albaner spezialisiert. Jetzt rächte sich, daß er nie was
mit denen zu tun haben wollte. Und hätte die Zeit für eine
erstklassige Fälschung gereicht? Kaum. Das Geld hingegen würde für
einige Jahre reichen. Nicht bis ans Lebensende, nein. Den
Weitere Kostenlose Bücher