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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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    »Aha. Wurden die auch
     überprüft? Die Hüllen müssen schließlich nicht
     das enthalten, was draufsteht.«
    Gudrun Basemann schüttelte,
     laut seufzend, den Kopf, bereits ahnend, was auf sie zukam. Ein wenig
     betreten sah sie auch deswegen aus, weil ihr diese Möglichkeit
     schlicht entgangen war.
    »Dann steht ja genug
     Arbeit an für die nähere Zukunft. Ich glaube zwar nicht, daß
     Kistner brisantes Material in der eigenen Wohnung aufbewahren würde,
     aber weiß mans? Wir müssen jede auch noch so geringe Möglichkeit
     vermeiden, hinterher als die Narren dazustehen. Noch eine Frage:
     Videomaterial – das ist so ein Wort, wie heute immer noch manche
     Menschen CDs als Platten bezeichnen. Wenn man heute jemanden heimlich
     aufnimmt, wie geschieht das? Mit dem Camcorder? Wie sieht das dazugehörige
     Endspeichermedium aus? CDs? Mini-CDs? Wer hat da Ahnung?«
    Fred Ehrlicher, der
     Hornbrillen- und Hosenträgerträger, meldete sich und klärte
     den Chef über die jüngsten Entwicklungen der Technik auf. Nabel
     kam sich alt vor, geschulmeistert wie ein Kind. Er delegierte die
     Angelegenheit. Basemann, Ehrlicher und Peschke sollten sich darum kümmern,
     gleich morgen früh.
    Pfeifer irrte unterdessen
     durch die Stadt und versuchte verzweifelt, sein Schicksal in die eigene
     Hand zu nehmen. Ümal ließ ihn glatt abblitzen beziehungsweise
     ließ er ihm per Telefon ausrichten, es gebe momentan keinen Grund für
     eine Unterhaltung. Wenn sich das ändere, würde man es ihn wissen
     lassen.
    »Ich habe etwas enorm
     Wichtiges zu melden.«
    Der Mann am anderen Ende der
     Leitung, einer von Ümals Stellvertretern, schien einen Augenblick zu
     überlegen, dann gab er Pfeifer eine Nummer, unter der er in fünf
     Minuten nochmal anrufen solle, von einem öffentlichen Münztelefon
     aus.
    Es folgten die schlimmsten fünf
     Minuten im Leben des David Pfeifer. Sein Gesicht war schweißüberströmt,
     seine Hände zitterten, die Knie wurden ihm schwach und er glaubte, in
     der Telefonzelle urinieren zu müssen. Dennoch wählte er die
     Nummer und stampfte dabei auf den Boden, wie um seinen ihm ungehorsamen Körper
     doch noch auf Linie zu zwingen. Er ist selbst schuld. König ist
     selbst schuld. Hätte er mir bloß vertraut.       
    Seit der Sache mit Murat
     Kursun glaubten alle beteiligten Parteien, daß Pfeifer ein doppeltes
     Spiel spielte, was ja auch stimmte und was er im übrigen nie
     geleugnet hatte. Sein Pech, über Murat Kursun tatsächlich nichts
     zu wissen, war ihm zum Verhängnis geworden. Hätte er ein bißchen
     was gewußt, nur ein bißchen, hätte er sich eine
     Geschichte zusammenbasteln können. So aber hatte das ehrliche Geständnis
     seiner Ahnungslosigkeit wie eine Provokation gewirkt.
    So gut die Tarnung Kursuns
     auch gewesen war, auch er hatte einmal die Polizeischule besucht, hatte
     von der Pike auf seinen Beruf erlernt, hatte bei den
     Polizeisportmeisterschaften 1994 im Hochsprung den dritten Platz belegt.
     So etwas, oder irgendeine ähnliche Kleinigkeit, genügte, um
     jemanden in Zeiten des Internets auffliegen zu lassen.
    Ümals Imperium war weit
     verzweigt, und was immer behördliche Archivierungssucht zu notieren für
     nötig befand, bekam er heraus. Nicht nur die Polizei benutzte U-Boote
     und Hackprogramme, die Gegenseite zeigte sich lernfähig.
    »Ja? Was ist denn so
     enorm wichtig?«
    Es gehe um König.
     Pfeifer sagte, was er zu sagen hatte. Stammelte es mehr. Die Stimme am
     anderen Ende der Leitung zeigte sich mäßig interessiert.
     »Ich geb es weiter. Sonst noch was?«
    Pfeifer verneinte, stürzte
     aus der Telefonzelle, um seine Blase zu erleichtern, hinter einer Litfaßsäule.
     Während er pißte, kam er langsam wieder zu sich. Was hab ich
     getan? Was hab ich getan? Nabel war im Kriminalchemischen Institut
     gewesen, hatte Lunte gerochen, also ließ sich so ein Ding bestimmt
     kein zweites Mal abziehen. Ich bin raus. Ich bin raus. Ich bin raus. Was
     hab ich getan?
    Anita um Hilfe zu bitten,
     schien aussichtslos. Sie, die Arroganz in Person, benötigte ihn nicht
     weiter und ignorierte ihn einfach. Pfeifer hockte sich mitten auf den
     Gehsteig und rauchte, versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Sein
     Vorrat an Schnee war alle. Konsequenzen ziehen. Konsequenzen ziehen. Die
     tragischen Figuren in Filmen enden ja oft nur deshalb tragisch, weil sie
     nie rechtzeitig die Konsequenzen, also die Reißleine ziehen, sich
     rechtzeitig

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