Aussortiert
Tränen in die Augen trieb. Echte Tränen. Der Rührung.
Eine Flasche Horilka wurde geöffnet – ukrainischer, mit Paprika
versetzter Wodka. Die Leibwächter ließen sie kreisen und
tranken auf den neuen Chef und die neue und alte Chefin. Es hätte
nicht viel gefehlt und das Quartett hätte ein Lied angestimmt zur
Ehre des hohen Paares und zum Ruhm der alten Heimat. Dschanow deutete mit
einer Handbewegung an, daß sie das bleiben lassen sollten,
vielleicht hatte die Polizei eine Wanze versteckt.
Er beschloß, die vier
in den folgenden Tagen zum Fußvolk zu degradieren. Sie hatten seinen
Vorgänger nicht beschützt, warum sollten sie es bei ihm einmal
anders halten? Immerhin würde er ihnen, wie es beim Amtsantritt eines
neuen Herrschers eine bewährte und populäre Maßnahme war,
das Leben schenken. Nebst einer anständigen Abfindung. Selbst wenn
sie Irgendwann redeten, konnte ihm das nicht weiter schaden. Ist unter
Verbrechern ein Staatsstreich erst geglückt, dient so gut wie jedes
Gerücht als Reklame.
Ahmed fuhr Kai und Lidia zur
Wohnung am Körnerpark. Während der gesamten Fahrt herrschte
Schweigen. Vor seiner Haustür angekommen, bat Kai flüsternd,
Lidia am Ärmel zupfend, darum, ihn nicht allein zu lassen heute
nacht. Sie gewährte ihm die Bitte, indem sie stumm ihre Hand auf
seine legte.
Ahmed versagte sich jeglichen
Kommentar und brauste los. Er dachte sich seinen Teil, dachte in obszönen
Szenarien, die ihn erregten. Dann dachte er, daß die beiden ziemlich
viel Vertrauen zu ihm haben mußten, wenn sie sich so vor ihm gehen
ließen. Es erfüllte ihn mit Stolz. Prompt lächelte er,
versöhnt.
»Setzen wir uns in den
Park?«
»Wie du magst.«
Nabel zog sein Handy. Er habe
Hunger.
Vom 24-Stunden-Lieferservice
wurde dreißig Minuten später eine Jumbopizza Quattro Formaggi
und eine Dreiviertelliterflasche Frascati geliefert, direkt an die zweite
Parkbank auf der Westseite. Nabel hatte schon immer ausprobieren wollen,
ob so eine Bestellung ankam, sie kam an und das war auf gewisse Weise enttäuschend,
denn – warum sollte sie nicht ankommen? Er war ein treuer Kunde und
wenn er eine Pizza in den nächtlichen Park vor seinem Haus geliefert
haben wollte, was sprach dagegen, außer, daß der Pizzabote
Muffe bekam, weil der Park schlecht ausgeleuchtet war?
Der Pizzabote könne
sich, sagte Nabel flüsternd, Furcht nicht leisten, er würde
seinen Job verlieren, und in heutigen Zeiten verliert man seinen Job nicht
wegen ein bißchen Furcht, auch sei der Park klein und von allen Straßenseiten
her einsehbar. Die Pizza mußte also ankommen, und darin liege die
Enttäuschung, daß in einem Experiment etwas, was zu erwarten
gewesen war, reibungslos eingetreten sei. Nabel schmiß die
halbgerauchte Zigarette in den Kies und zückte sein Taschenmesser, um
die Pizza zu achteln.
Wenngleich der Mann am
Telefon nicht das Recht besessen habe, einen Pizzaboten nachts irgendwohin
in die Dunkelheit zu schicken. Der Mann am Telefon gefährdete die
Gesundheit eines Mitarbeiters, ohne nachzudenken. Ob die Pizza auch dann
angekommen wäre, wenn er sie ins Zentrum der Hasenheide bestellt hätte?
Sicher nicht. Das wäre niemandem zuzumuten gewesen, nichtmal dem
geringsten Lohnarbeiter. Der überschaubare Körnerpark habe sowas
wie eine Grenze dargestellt, einen Grenzfall sozusagen. Grenzfälle
auszuloten, habe ihn immer interessiert.
Dies und noch manches andere
legte er Lidia beim Essen dar. Sie fragte, ob er in Gleichnissen rede.
»Nein, ich rede nur
Quatsch vor mich hin. Ich bin enttäuscht, weil das Erwartete
eingetroffen ist, obwohl wir mit dem, was wir haben, vor Wochen hoch
zufrieden gewesen wären. Weißt du noch? Deine Verzweiflung
über die Täterprofile? Und meine, weil ich dachte, ich sei ein
schlechter Bulle? Und jetzt? Eigentlich könnten wir froh sein. Bist
dus? Ich bins nicht.«
Er kaute den ersten Bissen,
wie man einen verbrauchten Kaugummi kaut, den man im nächsten Moment
ausspucken wird.
»Was hast du denn bloß?
Wir können doch weiterermitteln. Wir haben Ansätze genug.«
»Unsinn, der Fall ist für
uns erledigt. Dinge dieser Größenordnung übernimmt, wenn
ernsthaft Interesse besteht, das BKA. Wir – wir sind nur zuständig
für garstige durchgeknallte Psychos. Das – sowas – überläßt
man doch nicht uns. Froh dürfen wir sein, saumäßig froh,
daß wir da lebend
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