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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Krausser
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Tränen in die Augen trieb. Echte Tränen. Der Rührung.
     Eine Flasche Horilka wurde geöffnet – ukrainischer, mit Paprika
     versetzter Wodka. Die Leibwächter ließen sie kreisen und
     tranken auf den neuen Chef und die neue und alte Chefin. Es hätte
     nicht viel gefehlt und das Quartett hätte ein Lied angestimmt zur
     Ehre des hohen Paares und zum Ruhm der alten Heimat. Dschanow deutete mit
     einer Handbewegung an, daß sie das bleiben lassen sollten,
     vielleicht hatte die Polizei eine Wanze versteckt.
    Er beschloß, die vier
     in den folgenden Tagen zum Fußvolk zu degradieren. Sie hatten seinen
     Vorgänger nicht beschützt, warum sollten sie es bei ihm einmal
     anders halten? Immerhin würde er ihnen, wie es beim Amtsantritt eines
     neuen Herrschers eine bewährte und populäre Maßnahme war,
     das Leben schenken. Nebst einer anständigen Abfindung. Selbst wenn
     sie Irgendwann redeten, konnte ihm das nicht weiter schaden. Ist unter
     Verbrechern ein Staatsstreich erst geglückt, dient so gut wie jedes
     Gerücht als Reklame.
    Ahmed fuhr Kai und Lidia zur
     Wohnung am Körnerpark. Während der gesamten Fahrt herrschte
     Schweigen. Vor seiner Haustür angekommen, bat Kai flüsternd,
     Lidia am Ärmel zupfend, darum, ihn nicht allein zu lassen heute
     nacht. Sie gewährte ihm die Bitte, indem sie stumm ihre Hand auf
     seine legte.
    Ahmed versagte sich jeglichen
     Kommentar und brauste los. Er dachte sich seinen Teil, dachte in obszönen
     Szenarien, die ihn erregten. Dann dachte er, daß die beiden ziemlich
     viel Vertrauen zu ihm haben mußten, wenn sie sich so vor ihm gehen
     ließen. Es erfüllte ihn mit Stolz. Prompt lächelte er,
     versöhnt.
    »Setzen wir uns in den
     Park?«
    »Wie du magst.«
    Nabel zog sein Handy. Er habe
     Hunger.
    Vom 24-Stunden-Lieferservice
     wurde dreißig Minuten später eine Jumbopizza Quattro Formaggi
     und eine Dreiviertelliterflasche Frascati geliefert, direkt an die zweite
     Parkbank auf der Westseite. Nabel hatte schon immer ausprobieren wollen,
     ob so eine Bestellung ankam, sie kam an und das war auf gewisse Weise enttäuschend,
     denn – warum sollte sie nicht ankommen? Er war ein treuer Kunde und
     wenn er eine Pizza in den nächtlichen Park vor seinem Haus geliefert
     haben wollte, was sprach dagegen, außer, daß der Pizzabote
     Muffe bekam, weil der Park schlecht ausgeleuchtet war?
    Der Pizzabote könne
     sich, sagte Nabel flüsternd, Furcht nicht leisten, er würde
     seinen Job verlieren, und in heutigen Zeiten verliert man seinen Job nicht
     wegen ein bißchen Furcht, auch sei der Park klein und von allen Straßenseiten
     her einsehbar. Die Pizza mußte also ankommen, und darin liege die
     Enttäuschung, daß in einem Experiment etwas, was zu erwarten
     gewesen war, reibungslos eingetreten sei. Nabel schmiß die
     halbgerauchte Zigarette in den Kies und zückte sein Taschenmesser, um
     die Pizza zu achteln.
    Wenngleich der Mann am
     Telefon nicht das Recht besessen habe, einen Pizzaboten nachts irgendwohin
     in die Dunkelheit zu schicken. Der Mann am Telefon gefährdete die
     Gesundheit eines Mitarbeiters, ohne nachzudenken. Ob die Pizza auch dann
     angekommen wäre, wenn er sie ins Zentrum der Hasenheide bestellt hätte?
     Sicher nicht. Das wäre niemandem zuzumuten gewesen, nichtmal dem
     geringsten Lohnarbeiter. Der überschaubare Körnerpark habe sowas
     wie eine Grenze dargestellt, einen Grenzfall sozusagen. Grenzfälle
     auszuloten, habe ihn immer interessiert.
    Dies und noch manches andere
     legte er Lidia beim Essen dar. Sie fragte, ob er in Gleichnissen rede.
    »Nein, ich rede nur
     Quatsch vor mich hin. Ich bin enttäuscht, weil das Erwartete
     eingetroffen ist, obwohl wir mit dem, was wir haben, vor Wochen hoch
     zufrieden gewesen wären. Weißt du noch? Deine Verzweiflung
     über die Täterprofile? Und meine, weil ich dachte, ich sei ein
     schlechter Bulle? Und jetzt? Eigentlich könnten wir froh sein. Bist
     dus? Ich bins nicht.«
    Er kaute den ersten Bissen,
     wie man einen verbrauchten Kaugummi kaut, den man im nächsten Moment
     ausspucken wird.
    »Was hast du denn bloß?
     Wir können doch weiterermitteln. Wir haben Ansätze genug.«
    »Unsinn, der Fall ist für
     uns erledigt. Dinge dieser Größenordnung übernimmt, wenn
     ernsthaft Interesse besteht, das BKA. Wir – wir sind nur zuständig
     für garstige durchgeknallte Psychos. Das – sowas – überläßt
     man doch nicht uns. Froh dürfen wir sein, saumäßig froh,
     daß wir da lebend

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