Australien 01 - Wo der Wind singt
Stunde um Stunde. Das Bett war inzwischen für sie sowohl zu einem sicheren Hafen als auch einer Insel des Schreckens geworden.
»Atmen, Kate! Weiteratmen. Das machst du gut«, beruhigte die Hebamme sie.
»Ich kann nicht mehr!«, schrie Kate, als die Stunden zu einer einzigen qualvollen Ewigkeit verschmolzen. »Ich kann nicht mehr! Es tut zu weh.« Der Schmerz beherrschte ihren Verstand vollkommen, und sie hatte das Gefühl, verrückt zu werden oder sogar zu sterben. »Ich habe Angst«, schluchzte sie. Der Schweiß tropfte ihr von der Stirn, und ihre schwarzen Haare klebten ihr am Kopf. Wieder eine Wehe. Sie klammerte sich mit weißen Fingerknöcheln und zusammengebissenen Zähnen an das dicke Kissen.
»Wovor hast du Angst?«, fragte die Hebamme sie mit ruhiger Stimme.
Kate wollte sagen, dass sie Angst hatte zu sterben wie ein Mutterschaf auf der Weide oder ein wunderschönes, aber totes kleines Lamm zur Welt zu bringen. Aber in diesem Moment kündigte sich eine weitere Wehe an, und sie konnte nichts anderes tun, als sie, auf allen vieren kauernd, stöhnend zu ertragen. Das Nächste, was sie wieder bewusst wahrnahm, war, dass Tante Maureen an ihrer Seite war. Sie war ein wenig aufgeregt, da sie erst am späten Nachmittag erfahren hatte, dass ihre Nichte am Morgen in die Wehen gekommen und vom College direkt ins Krankenhaus gefahren war. Kate spürte, dass Maureen ihr den Rücken massierte und hörte ihre beruhigende Stimme.
Kate hatte das Gefühl, als wäre ihre Mutter bei ihr. Sie beruhigte sich ein wenig. Die Hebamme drückte ihr einen geriffelten Plastikschlauch in die Hand, auf dessen Ende ein blaues Mundstück steckte.
»Atme das ein, Kate. Es wird dir helfen. Vertrau mir«, drängte sie.
Es half tatsächlich. Kate spürte, wie der Äther sie in eine Art Schwebezustand versetzte. Die Wirkung ließ jedoch schon bald wieder nach, und dann waren auch die Schmerzen wieder da. Die gutturalen Laute, die aus Kates Kehle kamen, schienen von jemand anderem zu stammen. Sie kam sich schließlich ganz und gar wie ein Tier vor, als ein tiefes Stöhnen in ihr aufstieg.
»Atme den Schmerz hinaus, atme den Schmerz hinaus, Kate«, sagte eine Hebamme mit krausen, roten Haaren. »Es dauert jetzt nicht mehr lange, dann darfst du pressen.«
Sie konnte ihr nicht antworten. Ihre Pupillen weiteten sich vor Angst, so wie bei einem Tier, das in der Falle sitzt. Sie verstand nicht, was da gerade mit ihr geschah. Dann kniete sie wieder auf allen vieren, während die Hebammen sie aufforderten zu pressen. Sie spürte, wie die Gelenke in ihren Pfannen auseinandergezerrt wurden, so als würden zwei Traktoren mit den beiden Seiten ihres Beckens ein langsames, qualvolles Tauziehen veranstalten. Sie stellte sich vor, wie die schweren Haken der Traktorketten rote Muskeln, cremefarbene Bänder und schließlich das Weiß der Knochen auseinanderrissen. Gerade, als sie glaubte, gleich zu sterben, spürte sie, wie der Kopf des Babys ihre Beckenknochen passierte. Dann die Schulter und nach einem letzten Pressen, kam das Baby mit einem Schwall von Flüssigkeit aus ihr heraus. In diesem Moment wusste Kate, was die Frauen gemeint hatten. Das Erstaunen. Die Freude, die in ihr nach all den Schmerzen, dem Schock und der Angst aufstieg. Tränen liefen über ihre geröteten Wangen, als sie das nach Luft schnappende, nass glänzende Baby anstarrte.
»Hallo«, sagte sie zu dem winzigen, blinzelnden Wesen, das mehr wie ein Alien als ein Mensch aussah.
»Das hast du gut gemacht, Kate«, sagte eine der Hebammen. »Du hast ein wunderschönes kleines Mädchen zur Welt gebracht.«
Vier Tage nach der Geburt befand sich Kate in einem wahren Teufelskreis aus Schlaflosigkeit und Schmerzen. Krankenhaushölle. Sie stillte Nell mit aufgesprungenen und blutenden Brustwarzen. Sie hatte sich daran gewöhnt, dass die Hebammen ihre schweren, zum Platzen gefüllten Brüste packten und die Lippen ihres Babys dagegendrückten.
Da war das endlose Klappern auf den Korridoren; das unablässige Hin und Her der Putzfrauen, Schwestern und des Küchenpersonals. Sie alle stürmten einfach in ihr Zimmer und verließen es wieder, schoben Servierwagen, Putzeimer oder medizinische Geräte herum, deren Räder laut über den Boden klapperten und ratterten. Hinter den stets geschlossenen Jalousien gingen Tag und Nacht nahtlos ineinander über. Sie versuchte, sich mit ihren Lehrbüchern zu beschäftigen, aber die Worte verschwammen ihr vor den Augen. Und wenn Nell gerade einmal nicht
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