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Australien 01 - Wo der Wind singt

Australien 01 - Wo der Wind singt

Titel: Australien 01 - Wo der Wind singt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Treasure
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älter geworden.
    Mit seinem Verstand hatte er versucht, gegen die Angst anzukämpfen, mit seinem Herzen hatte er um seinen Vater getrauert. Sein Zorn auf das alles hatte mit der Zeit zu einem Schweigen zwischen ihnen geführt. Manchmal sprachen sie mehrere Tage lang kein einziges Wort miteinander. Nick wurde stets von Gewissensbissen gequält, wenn er sich in Gedanken immer wieder stumm fragte: »Warum bist du in jener Nacht nicht gestorben, Dad?« Wäre sein Dad ein Tier, hätte man ihm den Lauf eines Gewehrs an den Kopf gesetzt und ihm den Gnadenschuss gegeben. Nick fragte sich oft, warum die Menschen so versessen darauf waren, Leben zu bewahren, selbst wenn dieses Leben in keiner Weise mehr lebenswert war. Dieses neue Leben, das sein Vater jetzt führte, war viel zu hart für ihn. Eine ewig währende »Genesung«, von der Nick wusste, dass sie niemals eintreten würde. Seinem Vater würde es nie mehr besser gehen. Nur immer schlechter.
    Eine Kurve, ein Baum und ein wenig Rollsplitt, und ihr aller Leben war bis zu Unkenntlichkeit zertrümmert worden. Lance McDonnell, der zu schnell gefahren war, weil er sonst zum Bier im Feuerwehrschuppen zu spät gekommen wäre.
    Nick seufzte, als er jetzt am Fenster stand. Wenn er erst einmal mit Felicity verheiratet war, würde er das Ganze hier übernehmen. Die Farm. Die Verantwortung. Er würde sowohl für seine Mutter als auch für Felicity da sein. Er würde sich um alles hier kümmern. Heiraten und so schnell wie möglich erwachsen werden. Wieder nach vorn sehen. In eine Zukunft, die mehr bereithielt, als einfach nur jeden einzelnen schwierigen Tag mit seinem gebrochenen Vater zu leben. Nick musste die Verantwortung übernehmen. Das war unumgänglich. Sein Vater würde das sicherlich akzeptieren.
    Er und seine Eltern wussten, dass auf seinen Bruder Angus kein Verlass war. Angus, der nie da war, wenn er gebraucht wurde. So war es schon immer gewesen, und so würde es immer sein. Er erlebte Abenteuer auf den Perlenbooten in Broome. Schipperte auf einer
Jacht durch die Karibik. Betrieb einen Schlepplift in der Schweiz. Jettete nach Dubai, um sich die Rennpferde eines Ölscheichs anzusehen. Nick wusste, dass Angus nicht einmal zu seiner Hochzeit nach Hause kommen würde. Angus, der für die Familientraditionen nur Hohn und Spott übrighatte. Der sich über die Monogamie lustig machte. Über Aufmerksamkeiten und Freundlichkeit die Nase rümpfte.
    »Die frigide Felicity«, so hatte Angus seine Verlobte genannt, und Nick hätte ihn dafür beinahe verprügelt.
    Angus hatte sie ein paar Monate nach dem Unfall seines Vaters zum letzten Mal besucht. Er hatte in seinem europäischen Maßanzug wie ein Gangster ausgesehen und war in Nicks Zimmers herumstolziert. Dann hatte er ein Bündel Geldscheine auf sein Bett geworfen.
    »Du kannst die Farm haben, Nick. Ich will sie nicht. Schau, was ein bisschen Unternehmergeist bewirken kann.« Er hatte noch mehr Geld aus der Tasche gezogen und damit vor Nicks Gesicht herumgewedelt.
    »Ehrlich verdientes Geld. Mit Cleverness verdientes Geld. Farmer zu sein, hat überhaupt nichts mit Cleverness zu tun, Nick. Rein gar nichts. Schau dir den alten Griesgram da drin an, er war doch schon halb tot, bevor er gegen diesen Baum gefahren ist. Sag mir, wann hat er aufgehört, das Leben zu genießen? Jetzt ist er endgültig fertig. Für ihn ist es zu spät. Lebe hier und heute, sage ich dir.«
    Nick hätte seinem Bruder am liebsten seine Schulter in den massigen Leib gerammt und ihn gegen die Wand gedrückt. Er hatte es jedoch nicht getan. Er war einfach nur wie ein geprügelter Hund aus seinem Zimmer geschlichen.
    Nick sah jetzt im fahlen Licht des Mondes an seinem Körper hinunter. Betrachtete seinen weißen Oberkörper und seine sonnengebräunten Arme. Die Arbeit hatte ihn stark gemacht. Er liebte die Landwirtschaft. Sie war sein Leben. Aber jetzt, da es den ganzen Herbst keinen Tropfen geregnet hatte und er nicht wusste, wie es weitergehen sollte, fühlte er sich völlig ausgebrannt. Er sah auf die dürren Koppeln hinaus. Die Bäume warfen im Mondlicht gespenstische Schatten. Die Schafe, die um diese Zeit in der Nacht normalerweise ruhig auf der Weide gelegen hätten, wanderten auf der Suche nach Futter verzweifelt
umher. Andere standen mit hängenden Köpfen in kleinen Gruppen zusammen. Der tiefschwarze Schatten des Schuppens am Haus erinnerte Nick daran, dass kein Heu mehr da war.
    Er hatte sich dieser Farm mit Leib und Seele verschrieben, ganz egal,

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