Australien 01 - Wo der Wind singt
großen Hügel und nicht erst den Weg am Bach entlang treibst.«
»Okay, Dad. Kein Problem.«
Sie bückte sich, um die Decke, die Nells Schultern bedeckte, noch ein Stück höher zu ziehen. Eigentlich verließ sie die Scheune nur ungern. Sie warf einen weiteren verstohlenen Blick zu Nick hinüber. Dieser fegte den Boden, so elegant und geschmeidig, dass es aussah, als würde er mit dem Besen tanzen.
Draußen musste Kate sich erst einmal einen Moment lang an die Wand der Scheune lehnen. Sie atmete tief ein und schlug mit ihrem Hinterkopf ein paar Mal leicht gegen das Blech. Es war lächerlich, so von Nick zu denken. Er war verlobt, liebte eine andere, und er ahnte anscheinend nicht einmal etwas von seiner Verbindung zu Nell. Es bestand absolut keine Chance, dass er sich jetzt noch für sie interessieren würde. Sie konnte deshalb einfach nicht glauben, dass sie ihn noch immer so unglaublich anziehend fand. Dass sie jedes Mal dieses elektrisierende Kribbeln spürte, wenn er auch nur in ihre Nähe kam. Dass sich in der Scheune alles geändert hatte, jetzt, da er da war. Das Brummen der Schermaschinen war zu einem geradezu hypnotisierenden Geräusch geworden. Der Geruch von Schafdung, Lanolin und Schweiß vermischte sich mit der Atmosphäre harter Arbeit. Dies war die Welt, die Kate liebte, und Nick war ein Teil dieser Welt. In seiner Gegenwart verschlug es ihr jedes Mal regelrecht den Atem. Gleichzeitig verspürte sie in ihrem Herzen eine große Angst. Hatte er Nell angesehen und bemerkt, dass sie ihm ähnlich sah?
Plötzlich hallten Wills Worte in ihrem Kopf. »Du solltest ihm das mit Nell sagen.« Kate schloss die Augen und schüttelte langsam den Kopf, aber Wills Stimme war noch immer da. »Es geht auch um Nell, Kate. Es dreht sich nicht immer alles nur um dich.«
Auf der Pferdekoppel setzte Kate ihren Fuß in den Steigbügel und schwang sich auf ihr Pferd.
Nick beobachtete sie von der Scheune aus durch ein von Spinnweben verhangenes Fenster. Da saß sie in ihrem roten T-Shirt auf ihrem Pferd. Ihr dunkler Pferdeschwanz, der unter ihrer Kappe hervorsah, fiel über ihren Rücken. Ein Collie stand neben ihrer stämmigen kastanienbraunen Stute. Nick sah ihr dabei zu, wie sie den Pullover, den sie sich um die Taille gebunden hatte, ein wenig fester zog. Dann trieb sie ihr Pferd zum Trab an. Nick hatte schon als Teenager von diesem Mädchen geträumt. Im wirklichen Leben schien sie jedoch völlig anders zu sein. Sie war eine erwachsene Version seiner Jugendphantasie, aber genauso schön. Sie verkörperte alles, was er sich gewünscht hatte. Nur die Tatsache, dass sie ein Kind hatte, passte irgendwie nicht zu seiner Erinnerung an sie.
Plötzlich merkte Nick, dass jemand ganz in seiner Nähe stand. Jonesy rieb mit langsamen, kreisförmigen Bewegungen sein Schermesser mit einer schmierigen Bürste ein, während er sich mit der Zunge über die Oberlippe fuhr. Er folgte Nicks Blick, dann drehte er sich um und lächelte ihn vielsagend an.
»O nein, Kumpel«, sagte Nick und schüttelte den Kopf. »Ich nicht.«
Jonesy klopfte Nick lachend auf den Rücken. »Hast du noch nie daran gedacht, ein Pferd zu reiten und eins dabei zu führen?«
Nick lachte mit ihm, aber in Wirklichkeit war er schockiert darüber, dass er, obwohl er mit Felicity verlobt war, Kate so voller Verlangen ansah. Als Jonesy an seinen Platz zurückging, konnte Nick nicht anders, als dem Mädchen, das über den großen, wie eine Kuppel geformten Hügel davongaloppierte, hinterherzustarren. Kate Webster. Seine erste Liebe.
Kapitel 15
W ährend der Schafschur in der Scheune verging die Zeit anders. Kate wusste das. Die eine Woche dauernde Schur glich einem Film, bei dem immer wieder ein und dieselbe Spule abgespielt wurde, und das, so kam es ihr jedenfalls vor, monatelang. Kate fühlte sich wie im Himmel. Lange Tage mit Nick und Nell in der Scheune. Kurze Nächte mit Annabelle und ihrer Familie im Haus. Trotz ihrer Müdigkeit sprang Kate schon in aller Früh, wenn es noch dunkel war, voller Begeisterung aus dem Bett, um Nell fertig zu machen, denn sie wusste, dass sie den Tag zusammen mit ihrem neuen Helfer verbringen würde. Sie sah Nick vor sich, wann immer sie die Augen schloss. Sah, wie er seinen Kopf nach vorn beugte, um die Wolle zu sortieren, und wie seine festen Muskeln unter dem eng anliegenden Stoff seiner Jeans spielten, wenn er die Vliese in den Wollbehälter stampfte. Sah seine muskulösen Arme, wenn er sich, zwischen Wollpaketen stehend,
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