Australien 03 - Tal der Sehnsucht
holen. Während sie die letzten Köttelklumpen beiseite fegte, hörte sie, wie er vergeblich versuchte, die aufgeregten jungen Schafe in den Pferch vor dem Scherstall zu treiben. Nervös schaute Rosie nach draußen, wo sich ihr Vater lautstark fluchend abmühte.
»Verfluchte Biester!«, sagte er, als die Hammellämmer wieder knapp vor dem Gatter abdrehten. »Die Mistdinger wollen einfach nicht«, sagte er und warf dabei ein junges, verwirrtes Lamm in Richtung Tor. »Herrgott noch mal, Rosemary, geh da weg! Solange du da stehst, lassen sie sich garantiert nicht reintreiben!«
»Die lassen sich auch nicht reintreiben, wenn ich nicht hier stehe! Gib also nicht mir die Schuld!«
Gerald sah zu ihr auf.
»Warum holst du nicht einen von diesen sündteuren Hunden? «, meinte er müde. »Nachdem dein Bruder seine nutzlosen Köter mitgenommen hat, solltest du Sams Hunde einspannen.«
Als Rosie erneut zum Besen griff, fühlte sie sich schon viel aufgeräumter. Diesel war ihr gehorsam in den Schuppen nachgetrottet, und hatte, kaum dass sie »Bring!« gesagt hatte, den Zaun übersprungen und alle Schafe zu ihr getrieben. Sobald alle Lämmer zum Gatter drängten und nicht mehr hin und her rannten, hatte sie kurz gepfiffen und in die Hände geklatscht. Daraufhin war Diesel hinter die Herde gelaufen und hatte zu bellen begonnen. Wenige Augenblicke später war der Scherpferch gefüllt. Sie hatte den Hund zu sich an den Scherplatz gerufen, »Platz«, befohlen, woraufhin er sich auf den kühlen Holzboden gelegt hatte, die Pfoten dicht nebeneinander, und aus ernsten braunen Augen die Lämmer beobachtete, die eins nach dem anderen unter die Schermaschine geschleift wurden. Natürlich hatte sie gehofft, dass ihr Vater sie loben würde, aber der Anblick des vollen Scherpferchs schien ihn nur noch wütender zu machen.
Grob schleifte er ein weiteres Lamm heran und wollte schon die Maschine anwerfen, als Rosie ihn fragte: »Kannst du mir das beibringen?«
Ehe er ablehnen konnte, hatte sie sich vorgedrängt und ihn dabei mehr oder weniger beiseite geschubst. Sie packte die Vorderbeine des Lammes, das aufrecht auf dem Brett stand. Auf Geralds Gesicht trat für einen Moment ein angewiderter Ausdruck. Aber er war zu müde, um mit ihr zu streiten, und zu erleichtert, dass er wieder aufrecht stehen konnte. Also ging er nach nebenan in den Raum des Aufsehers, schaltete die Neonlampen über dem Schurstand ein und begann, Rosie zu zeigen, wie man Schafe schert. Rosie spürte, wie der warme Scherkopf in ihren Händen vibrierend zum Leben erwachte. Sie war erschrocken, wie warm das Handgerät wurde und wie eigensinnig es zu sein schien. Aber als sie Scherkamm und Scherblatt durch die Wolle zu führen begann, sah sie zu ihrem Vater auf.
»Schau, ich bin ein Naturtalent.«
Gerald sah sie säuerlich an und griff zum Besen, um die Köttel wegzufegen.
Kapitel 13
W ährend der nächsten Tage versuchte sich Rosie an die ungewohnte neue Gestalt ihrer Familie zu gewöhnen. Alle drei schienen sich auf Zehenspitzen zu umschleichen und vor den vielen unausgesprochenen Fragen zurückzuscheuen, die jeder mit sich herumschleppte wie einen Sack Steine. Das eiserne Visier, hinter dem Rosies Eltern ihren Schmerz verbargen, war wieder fest herabgezogen. Dass Julian erst ein einziges Mal aus der Stadt angerufen hatte, wurde praktisch nicht erwähnt. Und selbst da hatte sich Margaret vor allem nach dem Wetter in Melbourne erkundigt. Ihre Mutter und ihr Vater sprachen immer noch nicht miteinander, ihre Ehe war so brüchig wie der aufgeplatzte Boden auf den staubigen Weiden. Sie benutzten Rosie, um Nachrichten zu überbringen, oder hinterließen einander kurze, scharf formulierte Notizen auf dem Küchentisch. Abends verschwand Gerald in seinem Büro, wo er Stunden am Telefon verbrachte. Margaret genehmigte sich immer öfter einen heimlichen Schluck aus der Weinbrandflasche in der Küche und warf nachts Pillen ein, um schlafen zu können.
Rosie hatte sich in der Arbeiterunterkunft häuslich eingerichtet. Die eleganten Leinendecken ihrer Mutter wirkten befremdlich in den schmucklosen, alten Räumen, aber nachdem Rosie die Regale mit Büchern und die Schränke mit von ihrem Bruder geliehenen Arbeitssachen gefüllt hatte, begann sie sich allmählich heimisch zu fühlen. Die winzige Küche stattete sie für jene Tage, an denen sie ihren Eltern nicht gegenübertreten wollte, mit Nudelpäckchen und Dosengerichten aus. Ihr Körper hatte sich immer noch nicht richtig an
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