Australien 03 - Tal der Sehnsucht
uns dann morgen früh.«
»Es ist schon Morgen, du großer irischer Tölpel«, sagte Rosie lächelnd.
Jim zog eine Grimasse und lachte leise, ehe er in seine Unterkunft verschwand und die Tür entschieden ins Schloss zog. Rosie ließ sich wieder ins Stroh sinken und schaute den Welpen beim Schlafen zu. Ihre winzigen Bäuche hoben und senkten sich regelmäßig, und ihr Fell begann bereits zu glänzen. Sie brachte einfach nicht die Kraft auf, ins Haupthaus und in ihr eigenes Bett zu gehen. Sie fühlte sich dort oben so allein. Sie hätte sich gewünscht, dass Jim noch länger bei ihr geblieben wäre… dass er ihr mehr über sein Leben erzählte. Hatte er Geschwister? Was machten seine Eltern? Was hielt er wirklich von Rosie Jones ohne Bindestrich und ihrer Mutter und ihrem Vater mit Bindestrich? Rosie zuckte mit den Achseln. Vorerst konnte sie nur abwarten. Sie beugte sich wieder über die Welpen und streichelte sie mit dem Zeigefinger.
»Jeder von euch ist ein kleines Wunder«, flüsterte sie leise.
Kapitel 16
V enus Williams oder wie?«, rief ihr einer der Moorecroft-Brüder zu, dem Rosie eben einen Tennisball übers Netz hingeschmettert hatte. Der Ball kam auf und schoss an ihm vorbei. Zum Glück ahnte er nicht, dass sie in Wahrheit auf seinen Kopf gezielt hatte, weshalb es für sie ein armseliger Schuss gewesen war. Bei jedem Schlag kochte neue Wut in Rosie hoch.
Während der letzten Wochen hatte sie sich Geralds Schweigen und seinem Seufzen zum Trotz draußen auf der Farm abgearbeitet. Sie hatte sich an Jims Fersen geheftet, ihm zu- und manches abgeschaut. Alles ausprobiert, was ihm an Aufgaben aufgetragen worden war. Sie war wie sein Schatten gewesen, auch wenn sie wusste, dass sie ihm manchmal im Weg war. Falls die Zeit es zuließ, gab sich Jim redlich Mühe, ihr möglichst viel beizubringen. Aber Rosie hatte dennoch das Gefühl, dass er sie nur duldete, weil sie die Tochter seines Chefs war. Sie bombardierte ihn mit Fragen und strapazierte seine Geduld durch ihre tollpatschigen Versuche, mit Stacheldraht oder Werkzeug zu hantieren oder die Fahrzeuge zu rangieren. Trotzdem sprach er ihr immer wieder Mut zu. Weil er sie mochte? Oder nur aus Pflichtgefühl? Rosie hätte ihm zu gern die Wahrheit gesagt… dass sie gar nicht Geralds Tochter war. Aber irgendwie schaffte sie es nicht, die Worte auszusprechen. Vorerst wollte sie nur vergessen.
Es gab Zeiten — meist gegen Abend, wenn sie die Arme auf das Pferchgatter stemmte und Jim beim Training mit seinem jungen Pferd beobachtete –, da fühlte sie sich wie Sigrid Thornton in The Man From Snowy River . Es kam ihr so ungemein romantisch vor, wenn sie zwischendurch seinen Blick auffing und er seine unglaublichen Lippen zum Ansatz eines Lächelns nach oben zog. Doch im nächsten Moment schüttelte sie die Vorstellung mit einem eisigen Schaudern wieder ab. Es war noch zu früh nach Sam — oder etwa nicht? Erst vier Monate nach dem Unfall. Obwohl die Gäste bei der Tennisparty, die ihre Mutter organisiert hatte, offenkundig der Meinung waren, dass sie wieder in die Zukunft schauen sollte. Den ganzen Tag über hatten Margaret und ihre Freundinnen Heiratskandidaten an Rosie vorbeiparadieren lassen. Selbst Dubbo hatten sie eingeladen.
Sollten doch alle Männer zum Teufel gehen, dachte Rosie, und drosch ein weiteres Mal auf den Tennisball ein. Sam hatte sie betrogen. Ihr leiblicher Vater hatte sich offenkundig aus dem Staub gemacht. Gerald ignorierte sie, und Jim war irgendwo draußen auf der Weide, in freier Natur, und ritt mit seinem jungen Hengst zu den Mutterschafen.
Rosie selbst fühlte sich alles andere als frei. Sie stand hier in ihrem blütenweißen Tennisdress und spielte die Co-Gastgeberin bei dem Spätsommer-Barbecue mit angeschlossenem Tennisturnier, das ihre Mutter Jahr für Jahr veranstaltete. Sie fühlte sich gefangen, sie fühlte sich elend, und sie war stinkwütend auf ihre Mutter.
Als Rosie Dubbo gesehen hatte, abgezehrt, hager und auf einen Stock gestützt, hatte er ihr für einen kurzen Moment Leid getan. Er hatte sich vorgebeugt und sie auf die Wange geküsst, wobei die blonden Haare über sein eines Auge gerutscht waren. Trotzdem versetzte die Begegnung Rosie einen Stich. Dass Dubbo hier war, führte ihr noch einmal vor Augen, dass Sam tot war. Dubbo war tatsächlich dabei gewesen, damals in der Dunkelheit, als Sam und Jillian getötet wurden.
»Kacke!«, entfuhr es Rosies Gegner, als der Tennisball auf seinen fleischigen Schenkel prallte
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