Australien 04 - Wo wilde Flammen tanzen
Ihre Vorfahren hatten es als Sommerhaus für die Familie erbaut, vor langer Zeit, als sie im Winter noch in einem abgeschiedenen Tal gelebt hatten, in der Mayford-Hütte unterhalb der Schneegrenze. Die Trommelstockblumen mussten inzwischen aufgeblüht sein und in der Abenddämmerung die Weiden auf der Hochebene tüpfeln wie abertausende kleine gelbe Feenlichter. Die hochgeschossenen wilden Lupinen neben dem Haus standen bestimmt in voller Blütenpracht, und die alten knorrigen Bäume im Obstgarten würden ihre Äste unter der Last der winzigen Früchte senken. Überall im Busch würden die Sommerinsekten summen. Im Geist sah sie sich mit ihrer Familie an den Südhängen durch kleine Waldabschnitte voller saftig grüner Bäume reiten. Die Glockenhonigfresser zwitscherten wie wild. Sie konnte das tiefe Muhen einer Kuh hören, die ihr Kalb rief, dazu das Klappern der Pferdehufe auf dem Schotterweg, das Rauschen des Windes oben auf dem Bergkamm…
Emily schloss die Augen.
»Und«, riss Clancys Stimme sie aus ihren Träumen. »Ich dachte, du wolltest mit mir reden? Meg ist fast fertig mit ihren Chips, also spuck lieber aus, was du zu sagen hast.«
Sie schlug die Augen auf und sah Clancy so durchdringend an, dass er einen Schritt zurückwich.
» Ich weiß Bescheid «, sagte sie, und ihre Stimme war nur ein Knurren.
»Worüber?«
»Über die Trucker-Restaurants in Brisbane.«
»Was quatschst du da?«, murmelte er, doch seine Kiefermuskeln zuckten, und sein Blick wich ihr immer wieder aus.
»Die Mädchen. Die du bezahlt hast. Nutten.«
Clancy schüttelte den Kopf.
»Die waren für einen Kumpel. Der war mit ihnen zusammen. Ich hab so lange im Laster gewartet.«
»Lügner.«
Eine blonde Krankenschwester mit Himmelfahrtsnase und unglaublichen Brüsten kam ins Zimmer. Clancy versuchte, sie nicht anzusehen, aber er roch genau wie Emily ihr Parfüm. Als würde sie die Anspannung im Raum nicht spüren, trat die Schwester an Emilys Bett. »Ich bin Simone. Sobald Ihr Besuch gegangen ist, verlege ich Sie auf eine andere Station.«
»Er wird bald gehen«, antwortete Emily kühl. Clancy schnaufte schwer aus, er wusste, dass er aufgeflogen war.
Als die Schwester wieder verschwunden war, sah er überallhin, nur nicht in Emilys Gesicht. Sie hatte erwartet, dass er sie anbrüllen würde; sie hatte damit gerechnet, dass er sie beschimpfen würde, aber im Innersten wusste Clancy Moran, dass er ihre Ehe unwiderruflich zerstört hatte, und darum blieb er still und mit gesenktem Kopf sitzen.
»Es ist vorbei, Clancy«, sagte Emily leise. »Wenn ich hier rauskomme, gehe ich nach Dargo zurück. Du kannst das Haus behalten … und alles andere auch. Aber ich werde gehen, und ich nehme die Kinder mit.«
»Nein«, sagte er und trat an ihr Bett. Er legte eine Hand auf ihren Arm und hielt ihr Handgelenk umklammert. Für einen Moment hatte Emily das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Eine Welle der Übelkeit überlief sie, als blitzartig eine Erinnerung an ihre Fahrt im Krankenwagen aufflammte. Offenbar waren sie unterwegs zum Hubschrauberlandeplatz gewesen. Aber wie konnte sie sich daran erinnern, überlegte sie. Sie war doch bewusstlos gewesen. Trotzdem sah sie im Geist, wie Penny, die Finger in Handschuhen, die Schläuche aus den Einwegverpackungen riss. Sie hörte Stimmen um sie herum. Kev von vorn, der gleichzeitig fuhr und Penny Anweisungen gab. Dazu ein krächzender, hektischer Kommentar aus dem Funkgerät. Und kurz darauf Clancys Stimme, wütend und betrunken – und viel zu laut für den Krankenwagen. Penny, die ihn anschrie, endlich Ruhe zu geben. Dann das Geflüster über Verbotenes und über dunkle Geheimnisse, die ihr wie ein Messer durchs Herz schnitten.
Emily sah ihren Mann an und wurde blass.
»Alles okay? Du musst doch nicht kotzen?«, fragte er und ließ sie wieder los.
Emily schluckte. »Mit ihr hast du auch geschlafen.«
»Mit wem?«
»Dieser Sanitäterin. Im Krankenwagen.«
»Krieg dich wieder ein«, sagte er. »Die müssen deine Medikamente neu einstellen. Was redest du da?«
»Ich kann mich erinnern! Ich habe euch beide reden gehört. Ihr habt neben mir gestanden … und geredet.« Emily schüttelte den Kopf, während die Erinnerungen zurückkehrten. Sie hätte sie lieber vergessen, aber immer neue Bilder stürzten auf sie ein, und plötzlich war sie auf eigenartige Weise sicher. Sie sah, wie sich Clancys Körper anspannte und seine Augen schmaler wurden, und erkannte, dass sie recht hatte. Er hatte nicht nur
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