Auszeit - Die groeßte Katastrophe der Menschheit
Taler, dessen Arm mittlerweile fachmännisch verbunden war, lehnte sich an den Stamm des Baumes zurück, an den er noch vor weni- gen Minuten angebunden als Gefangener gestanden hatte.
“Wir kommen aus München oder besser gesagt aus dem, was von Mün-hen übrig geblieben ist. Und glauben Sie mir, viel ist das nicht. Einige Stadtteile sind durch Brände fast völlig zerstört. Zehntausende, vielleicht sogar hunderttausende von Toten liegen auf den Straßen und verwesen langsam vor sich hin. Die wenigen Menschen, die Cholera und Pest überlebt haben, leiden an entsetzlicher Hungersnot. Und weil sie bereits seit Wochen hungern, wissen sie auf der Jagd nach Essbarem nicht mehr, was sie tun. Sie haben verlernt Gut von Böse zu unterscheiden und benehmen sich größtenteils, wie die Tiere. Für einen halben Laib Brot bringen sie sich, ohne lange darüber nachzudenken, gegenseitig um. Viele der Überlebenden haben sich zu Gruppen zusammengerottet, weil sie glauben, in Gruppen stärker zu sein. Diese Gruppen überfallen diejenigen, die einzeln auf der Suche nach Nahrung durch die Straßen ziehen.
Wir haben in Schwabing gewohnt, das ohnehin fast nur noch aus Brandruinen besteht. Alleine in unserer nächsten Nachbarschaft gab es vier Gruppen, die nichts anderes taten, als Leute zu überfallen. Da waren Menschen dabei, die wir gut kannten und die früher durchaus friedliebende Bürger waren. Der Hunger hat ihren Charakter total verändert. Wir selbst haben uns in den Kellern abgebrannter Häuser versteckt. Da war man am sichersten, weil in den zerstörten Häusern keiner mehr vermutet wurde. Nachts haben wir uns mit anderen getroffen, von denen einige das Amt übernommen hatten, Nahrung zu suchen. Sie waren aber kaum erfolgreich. In den letzten Tagen, die wir in München verbrachten, waren wir froh, wenn wir alle zwei oder drei Tage eine Scheibe Brot, ein Stückchen Wurst oder ein Stückchen Käse erhielten. Mehr war nicht mehr drin. Ab und zu gab es auch mal ein bisschen Gemüse, das wir roh zu uns nahmen, um uns nicht durch das Feuer, das wir zum Kochen benötigt hätten, zu verraten. Vor fünf Tagen haben wir uns dann heimlich aus München fort geschlichen. Es war gefährlicher, die Stadt zu verlassen als in ihr zu wohnen. Wir benötigten drei Tage, um die südliche Stadtgrenze zu erreichen. Immer wieder trafen wir auf Straßensperren, die wir umgehen mussten oder auf größere Gruppen, die sich überall gebildet hatten, um Menschen zu berauben. Oft waren wir gezwungen, Stunden in irgendeinem Versteck verbringen, bevor die Gruppen ihren Standort wechselten.
Einmal wären wir fast Opfer einer solchen Gruppe geworden. Das war im Stadtteil Untersendling. Wir hatten uns wieder einmal vor einem dieser Raubtrupps verborgen und warteten sehnsüchtig darauf, dass sie endlich weiterziehen. Als sie dann nach drei Stunden wirklich aufbrachen, vergaß einer der Männer seinen Rucksack. Er ließ ihn einfach am Straßenrand stehen. Wir warteten eine Viertelstunde, dann verließen wir unser Versteck. Natürlich sahen wir nach, was sich in dem Rucksack befand. Schließlich konnte er ja mit irgendetwas Essbarem gefüllt sein. Als ich den Rucksack öffnete, traute ich meinen Augen nicht. So etwas hatte ich bereits seit Wochen nicht mehr gesehen. In dem Rucksack lagen ein ganzer geräucherter Schinken und zwei Laib Brot. Sie können sich sicherlich vorstellen, welche Kapriolen unsere Mägen machten, als unsere Augen diesen Nahrungsreichtum erblickten. Wir konnten uns natürlich nicht zurückhalten und nahmen die Esswaren zu uns. Gerade, als wir uns davon machen wollten, hörten wir einige Stimmen. Auf schnellstem Wege suchten wir wieder unser Versteck auf. Der Rucksackbesitzer war mit drei anderen Männern zurückgekommen, da er offensichtlich den Verlust bemerkt hatte. Er staunte nicht schlecht, als er den Rucksack leer vorfand. Er fluchte und schimpfte und schwor, den Kerl, der die Lebensmittel gestohlen hatte, auf der Stelle umzubringen, wenn er ihn erwischen würde. Dann begannen die vier alle umstehenden Häuser zu durchsuchen. So kamen sie auch zu dem Haus, in dem wir uns zwischen den Brandtrümmern versteckt hatten und von wo aus wir sie ständig beobachten konnten. Wir hatten großes Glück. Obwohl sie nahezu jede Nische durchsuchten, fanden sie uns nicht. Nach circa einer Stunde zogen sie dann unverrichteter Dinge weiter. Wir trauten jedoch dem Frieden nicht und sind deshalb noch mindestens zwei weitere Stunden in unserem
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