Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
nichts Schlimmeres. Wie ein Tier in einem Käfig lief ich im Kreis, zermürbt von der gruseligen Erkenntnis, dass meine Entscheidung, wie immer sie aussah, schreckliche Auswirkungen haben würde, mit denen ich für den Rest meines Lebens leben müsste. Es gab keinen Ausweg – alles war gleichermaßen schrecklich. Könnte ich ein Kind bekommen und es weggeben? Es
würde mir das Herz brechen, ich würde mich quälen mit Gedanken darüber, wie es ihm ging, ob es glücklich war, ob die neuen Eltern es gut versorgten, ob die Tatsache, dass ich es weggegeben hatte, ihm einen Schaden zugefügt hatte.
Aber andererseits war die Aussicht, ein Kind zu bekommen und es zu behalten, ganz und gar fürchterlich. Wie würde ich für es da sein können? Ich ging noch zur Schule und fühlte mich zu jung und unerwachsen und kaum fähig, für mich selbst zu sorgen, geschweige denn für ein hilfloses, kleines Wesen. Ähnlich wie Shay hatte auch ich das Gefühl, dass mein Leben vorüber war.
Und alle würde mich verurteilen: die Nachbarn, meine Klassenkameraden, meine Verwandten. Sie würden über mich reden und mich wegen meiner Dummheit verhöhnen, und sie würden sagen, ich hätte das bekommen, was ich verdiente.
Jetzt, fünfzehn Jahre später, ist mir klar, dass es keine so schreckliche Katastrophe gewesen wäre. Man konnte danach weiterleben – ich hätte das Kind bekommen und es selbst versorgen können, und nach ein paar Jahren hätte ich eine Berufsausbildung gemacht. Meine Eltern wären zwar nicht begeistert gewesen, aber sie hätten damit leben können. Und natürlich hätten sie es geliebt, ihr erstes Enkelkind.
Im Laufe der Jahre erlebte ich, dass andere Menschen mit Schicksalsschlägen leben mussten, die viel schlimmer waren als die Tatsache, dass ihre bravste Tochter mit einem unehelichen Kind nach Hause kam. Kieron Boylan, der in unserer Straße wohnte und ein paar Jahre jünger war als ich, kam mit achtzehn bei einem Motorradunfall ums Leben. Ich ging zu seiner Beerdigung, und seine Eltern waren nicht wiederzuerkennen. Sein Vater war außer sich vor Kummer und Schmerz.
Aber damals war ich siebzehn und wusste das alles noch nicht. Ich hatte keine Lebenserfahrung, ich hatte nicht gelernt, mich gegen andere durchzusetzen und ihre Erwartungen zu enttäuschen. Ich war zu keiner vernünftigen Überlegung fähig und lebte in ständiger, extremer Angst, die mir nachts den Schlaf raubte und meine Tage zu einem Albtraum machte.
Ich träumte von Babys. Einmal versuchte ich ein Kind zu tragen, aber es war aus einem schweren Material, so wie Blei,
und viel zu schwer, aber ich mühte mich trotzdem ab. Dann träumte ich, dass ich das Kind bekommen hatte, aber es hatte einen Erwachsenenkopf und sprach dauernd mit mir, machte mir Vorwürfe und brachte mich an den Rand der Erschöpfung mit seiner starken Persönlichkeit. Mir war die ganze Zeit übel, aber ich werde mir niemals sicher sein können, ob das wegen der Schwangerschaft war oder wegen meiner fortwährenden panischen Angst.
Shay wiederholte nach Papageienmanier, dass er mir zur Seite stehen würde, was immer ich entschied, aber ich wusste, was er sich wünschte. Das Problem war, dass er es nie klar aussprach, und obwohl ich es auch nicht in Worte fassen konnte, hasste ich das Gefühl, ganz allein für die schreckliche Entscheidung verantwortlich zu sein. Mir wäre es lieber gewesen, er hätte mich angeschrien und gezwungen, eine Reise nach England zu organisieren und die Sache geregelt zu bekommen, und zwar schnell, statt mich mit seiner Fürsorge zu umhüllen und so erwachsen zu tun. Obwohl er wie ein Mann aussah und bei sich zu Hause das Familienoberhaupt war, begriff ich allmählich, dass er längst nicht so reif war, wie er schien, und einfach nur eine Rolle spielte. Und obwohl wir unzertrennlich waren, fühlte ich mich von ihm seltsam allein gelassen.
Drei Tage nachdem ich den Test gemacht hatte, weihte ich Emily und Sinead ein. Sie waren entsetzt. »Ich wusste, dass etwas nicht in Ordnung war«, sagte Emily mit kreidebleichem Gesicht, »aber ich dachte, du hast Prüfungsangst.«
Sie schüttelten unentwegt den Kopf und stöhnten: »Himmel!« und »Ich kann das nicht glauben!«, bis ich sie anherrschte, sie sollten damit aufhören und mir sagen, was ich tun soll. Sie versuchten nicht, mich zu überreden, das Kind zu bekommen, sondern dachten, es sei besser – oder am wenigsten schlimm –, das Kind nicht zu bekommen. In ihren Augen stand so viel Mitleid – aber
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