Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
mir fiel wieder auf, wie schlank und hoch gewachsen die Bäume waren. Manchmal heißt es, dass die Leute wie ihre Hunde
aussehen. Von den Angelenos könnte man sagen, dass sie wie die Straßenbäume in ihrer Stadt aussehen.
Auf dem Weg ins Haus warf ich einen Blick in Mikes und Charmaines Wohnzimmerfenster und sah zu meiner Überraschung eine Gruppe von Menschen, die bei flackerndem Kerzenlicht zusammensaßen. Alle hatten die Augen geschlossen und hielten sich so still, dass ich mir nicht ganz sicher war, ob sie überhaupt atmeten. In einem Anflug von Erregung fragte ich mich, ob sie den Werbespot für Kool Aid mit Weintraubengeschmack nachspielten.
In meiner Abwesenheit hatte Emily sich in eine Prä-Präsentations-Nervenkrise hineingesteigert und alle Sachen in ihrem Kleiderschrank anprobiert, die jetzt überall verstreut lagen – auf dem Bett, auf dem Fußboden, auf den Stühlen, über dem Fernseher –, und sie selbst lag auf Knien und wühlte darin herum.
»Ich habe nichts anzuziehen für morgen!« Sie sah nicht einmal auf.
»Und was ist mit den Sachen, die du am Samstag gekauft hast? Die sind doch schön!«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich finde sie scheußlich. Sie sind irgendwie falsch.«
Erst dann bemerkte sie mein Haar. »Herr im Himmel, ich hätte dich beinah nicht erkannt! Das sieht ja gut aus.«
»Hör mal, nebenan ist irgendwas Komisches –«
»Eine Hausdurchsuchung?«
»Nein, auf der anderen Seite nebenan. Da sitzen lauter Menschen und bewegen sich nicht. Sie sehen nicht lebendig aus. Sollte ich lieber neun-eins-eins anrufen?«
»Sie meditieren«, sagte sie. »Das machen sie jeden Dienstag Abend. Übrigens, Mammy Walsh hat angerufen.«
»Macht sie sich Sorgen um mich? Soll ich nach Hause kommen?«
»Sie macht sich Sorgen um dich, und wenn es nicht bald aufhört zu regnen, dann wird sie in der Klapsmühle enden.«
»Kein Wort darüber, dass ich nach Hause kommen soll?«
»Kein Wort.«
»Zum Glück.«
»Hat Lara dir ein Kostüm für morgen geliehen?«
»Ja. Komm jetzt.« Ich hob eine Bluse vom Boden auf. »Ich helfe dir, die Sachen wieder aufzuhängen.«
»Also gut«, sagte sie seufzend und nahm sich eine Hand voll Bügel. »Lara hat eine tolle Wohnung, findest du nicht?«
»Doch, finde ich auch.« Dann fielen mir wieder die Pornotitel ein. »Weißt du, Lara ist die erste Lesbe, die ich kenne«, sagte ich. »Wenigstens bewusst.«
»Geht mir genauso.«
»Wie das wohl …« Ich sprach nicht zu Ende.
»Wie das wohl im Bett ist?«
»Nein!« Beziehungsweise ja.
»Dildos, nehme ich an. Oraler Sex. Himmel, das wär nichts für mich«, sagte Emily angewidert.
Ich hängte ein paar Blusen auf, dann sagte ich: »Aber alle Menschen sind doch ein bisschen bi, oder? Wenigstens meinen das die Wissenschaftler.«
Emily hörte auf zu räumen und sah mich mit strengem Blick an.
»Nein«, sagte sie, »fang gar nicht erst damit an.«
16
S chließlich hielten die lebendigen Kaninchen Einzug bei uns, doch zum Glück tat Garv nicht so, als wären sie ein Geschenk für mich. Solche Geschichten hatte ich nämlich schon gehört – von Männern, die ihrer Freundin eine Katze oder einen Hund schenkten, die sie eigentlich selbst haben wollten. Was ja eine doppelte Beleidigung ist, denn nicht nur muss die Frau ihre Wohnung mit einem Tier, das sie nicht will, teilen, sie muss es auch noch versorgen und den Dreck wegmachen.
Eines Abends kam Garv von der Arbeit und brachte einen mit Stroh ausgelegten Karton mit, den er auf den Tisch stellte.
»Guck mal, Maggie«, flüsterte er und wäre vor Aufregung beinahe geplatzt.
Ich schwankte zwischen Angst und Neugier, und als ich in den Karton guckte, sahen mich zwei Paar rosa Augen an und zwei zuckende Nasen reckten sich mir entgegen. »Komische Pizzas«, sagte ich. Eigentlich hatte er uns etwas zum Abendessen besorgen wollen.
»Entschuldige«, sagte er freundlich. »Das habe ich ganz vergessen – ich gehe gleich noch einmal los.«
»Das sind Kaninchen«, sagte ich vorwurfsvoll.
»Sie sind noch ganz klein«, erwiderte er grinsend. Eine Arbeitskollegin hatte sie ihm geschenkt.
»Wir müssen sie nicht behalten, wenn du nicht willst, aber ich kümmere mich auch um sie«, versprach er.
»Und wenn wir –«
»Verreisen wollen? Dann versorgt Dermot sie.«
Dermot war sein jüngerer Bruder. Wie die meisten jüngeren Brüder war er bereit, für Geld so gut wie alles zu machen.
»Du hast schon alles geplant.«
Das Strahlen in seinen Augen erlosch.
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