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Pavillons ein Mann auf dem Einfassungsgeländer; er rauchte eine Zigarette und starrte in den Regen hinaus. Er trug einen hellbraunen Nylonregenmantel und darunter einen dunkelbraunen Anzug. Sein Kinn sprang auffallend vor, seine Wangen waren von Pockennarben übersät. Er ließ in aller Seelenruhe den Rauch aus seinen Nasenlöchern entweichen und schien nicht zu merken, daß Saul sich ihm näherte.
Saul entging nicht, daß unter einer Kastanie in der Nähe ein zweiter Mann stand, der den gleichen hellbraunen Regenmantel trug und mit ungewöhnlichem Interesse ein paar Vögel in den Zweigen über ihm beobachtete.
In einiger Entfernung von dem Mann auf dem Geländer blieb Saul stehen. Das Dach des Pavillons war an ein paar Stellen undicht. Dicht neben ihm tropfte es von der Decke.
»Da wären wir also, Romulus«, sagte der pockennarbige Mann und drehte sich herum. »Wie geht es Ihnen?«
»Jedenfalls bin ich wieder zurück.«
»Das wissen wir bereits. Sie sind sofort bei Ihrem Eintreffen am Flughafen gesichtet worden. Und seitdem haben wir Sie nicht mehr aus den Augen gelassen.«
»Ich habe nicht versucht, mich heimlich ins Land zu stehlen. Vielmehr habe ich mich gleich als erstes mit der Bäckerei in Verbindung gesetzt. Vergessen Sie bitte nicht, daß dieses Treffen auf meinen Wunsch hin stattfindet.«
»Und das ist auch der einzige Grund, mein Freund, weshalb Sie noch am Leben sind.« Der Pockennarbige warf die Zigarette in den Regen hinaus. »Sie haben nun mal die schlechte Angewohnheit, gegen Abmachungen zu verstoßen.«
»Wenn jemand gegen irgend etwas verstoßen hat, dann mein Blutsbruder.«
»Gewiß. Trotzdem haben Sie ihm bei der Flucht geholfen, anstatt ihn festzunehmen.«
»Vermutlich haben Sie eben keinen Bruder.«
»Im Gegenteil - ich habe sogar drei.«
»Hätten Sie ihnen an meiner Stelle geholfen? Oder hätten Sie sich auf die Seite ihrer Gegner geschlagen?«
Darauf erwiderte der Pockennarbige nichts.
»Außerdem wurde mein Blutsbruder schließlich getötet.« Sauls Stimme klang belegt. Auch nach drei Jahren hatte er den Tod von Chris noch immer nicht verwunden.
»Wir sind nicht hier, um über Ihren Bruder zu sprechen, sondern über Sie.«
»Ich habe mit der Zentrale in Langley eine Abmachung getroffen, mich stillzuhalten und in der Wüste unterzutauchen. Allerdings ist in der Zwischenzeit einiges passiert.«
»Was?«
»Die Siedlung, in der ich lebte, wurde angegriffen. Meine Frau und mein Sohn sind dabei nur mit knapper Not dem Tod entronnen.«
»In Israel sind solche Überfälle doch an der Tagesordnung«, entgegnete der Pockennarbige achselzuckend.
»Aber in diesem Fall war das etwas anderes. Der Überfall galt eindeutig meiner Frau, meinem Sohn und mir!«
Der Mann kniff die Augen zusammen.
»Doch das ist noch nicht alles!« fuhr Saul fort. »Am Tag vor dem Überfall verschwand der Vater meiner Frau spurlos! Hier in Wien! Das hat schließlich den Ausschlag gegeben, weshalb ich Israel verlassen habe - um herauszufinden, was...«
»Ich kann Ihren Standpunkt durchaus verstehen«, beruhigte der Pockennarbige daraufhin Saul. Gleichzeitig winkte er den Mann unter dem Kastanienbaum zurück, der sich dem Pavillon zu nähern begonnen hatte, als Saul immer lauter wurde.
»Wollen Sie damit sagen«, wandte sich der Pockennarbige wieder Saul zu, »daß Sie noch nicht wieder eingestiegen sind?« Er studierte Saul eingehend. »Sie haben noch bei keiner anderen Firma unterschrieben?«
»Denken Sie wirklich immer noch, ich wäre aus beruflichen Gründen hier? Das ist doch lächerlich - zum Kotzen!«
»Ihre Ausdrucksweise ist zwar ziemlich drastisch, Romulus, läßt aber trotzdem Klarheit vermissen. Meine Vorgesetzten wollen definitive Aussagen von Ihnen zu hören bekommen, wenn ich meinen Bericht an sie weiterleite.«
»Ihren Bericht leiten Sie vermutlich bereits jetzt, in diesem Augenblick, weiter. Es würde mich jedenfalls sehr wundern, wenn Sie nicht irgendwo ein kleines Mikrofon mit sich herumtrügen. Und in diesem blauen Kombi, der am Eingang des Parks geparkt steht, wird vermutlich jedes Wort aufgenommen, das wir hier sprechen. Ist es nicht so?«
Der Pockennarbige machte sich nicht die Mühe, sich in Richtung des Kombi umzudrehen.
»Also gut«, fuhr Saul fort. »Wenn wir schon mal dabei sind, kann ich es Ihnen ja gleich bestätigen: Ich stehe auf niemandes Gehaltsliste. Es handelt sich hier um eine rein familiäre Angelegenheit. Ich bitte deshalb um eine vorübergehende Aufhebung der
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