Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
zur Verfügung stellten. Und was sie sah, war nur eines von vielen römischen Heeren.
Hoch oben auf den Dämmen standen nur wenige Pfähle, an denen Fahnen flatterten, aber sie konnte den Lärm hören, der vom römischen Lager herüberdrang – wie Gesumme in einem riesigen Bienenstock. Sie gelangten an die Pforte in der Mitte des Dammes, wo römische Legionäre mit funkelnden Rüstungen Wache standen. Mit halb zugekniffenen Augen blinzelte sie gegen die Sonne, während die Britannier näher kamen. An der Meerbarbe auf den zerbeulten Schutzschilden erkannte sie, dass sie zur Legion des Heerführers Vespasian gehörten, die den Römern in der Schlacht am Middle River den Sieg gebracht hatte.
Bleib ruhig, grollte sie innerlich. Wir haben keine andere Wahl, als uns unter das Joch der Römer zu beugen.
Boudicca drehte sich weg, als ihr Vater und ihr Bruder die Schwerter vom Gürtel lösten und sie einem mit Auszeichnungen behangenen Centurio übergaben. Dann wurden die einzelnen Gruppen der britannischen Prinzen, die so gut es ging eine tapfere Haltung bewahrten, ins Lager eskortiert. Dieses Lager umfasste dreißigtausend Mann. Doch erst als sie die Lederzelte sah, die in Reih und Glied hintereinanderstanden, bekam sie einen Begriff von der Bedeutung jener Zahl. Die Britannier hätten zwar mehr Krieger zur Verfügung, sofern es je gelänge, sie alle zu einem Heer zusammenzuziehen, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass ein keltisches Heer je eine solche Disziplin erlangen könnte.
Man geleitete sie geradewegs den Hauptweg hinunter zu einem Zelt, das so groß war wie Cunobelins Festgemach. Es war umspannt mit tiefrot gefärbten, festen Stoffplanen und besetzt mit goldglitzernden Paspelierungen. Davor standen große Soldaten, deren Rüstungen ebenfalls mit goldenen Verzierungen besetzt waren und deren Mienen weniger Hass als vielmehr Stolz verrieten. Ihre dunkelblauen Schutzschilde waren eindeutig noch nie in einer Schlacht zum Einsatz gekommen. Die goldenen Blitze, die oben über die silbernen Schildflügel und unten über die Schildzunge verliefen, sowie die silbernen Sterne und Monde in den Ecken waren unversehrt.
»Die Prätorianergarde …«, murmelte Boudiccas Bruder Dubnocoveros. »Sie haben Caligula ermordet, den Vorgänger von Kaiser Claudius. Anscheinend ist es nur dieser Garde erlaubt, einen Kaiser zu töten …«
Ein Blick von einem der Soldaten brachte ihn zum Schweigen, entweder, weil der Mann die keltische Sprache verstand, oder weil es überhaupt verboten war zu sprechen. Möglicherweise Ersteres, dachte Boudicca bei sich – denn der Mann sah aus wie ein Gallier.
Nacheinander wurden die königlichen Gruppen der Kelten hineingeführt, um sich dem römischen Kaiser zu unterwerfen. Auch Königin Cartimandua marschierte an der Seite ihres äußerst verdrießlich wirkenden Gemahls vor den Kaiser. Sie hingegen glänzte in einem prachtvollen, grün bestickten Umhang, was Boudicca das Gefühl gab, unangemessen schlicht gekleidet zu sein. Verstanden die Römer überhaupt, dass die brigantischen Herrscher nur für die Stämme in der weiten nördlichen Region sprechen konnten, die in dem Netz der schnell wechselnden Bündnisse zufällig gerade auf ihrer Seite standen? Oder baute Cartimandua auf römische Unterstützung, um die Machtverhältnisse zum Kippen zu bringen?
Bodovoc vom Stamme der nördlichen Dobunni stand ein wenig abseits der anderen und trug mit herablassender Miene seine Vorteilsstellung zur Schau, die ihm seine frühzeitige Unterwerfung eingebracht hatte. Er hatte sich nämlich den Römern unterworfen, noch bevor diese Britannien erobert hatten. Doch in der jetzigen Situation würde er Frieden wahren müssen mit seinem Vetter Corio vom Stamme der südlichen Dobunni. König Veric, der andere frühe Unterstützer der feindlichen Besatzungsmacht, hatte sich ebenfalls unübersehbar positioniert. Seite an Seite mit seinem Erben, der in eine Toga gehüllt war, genoss er es sichtlich, neben den römischen Senatoren zu stehen und die Erniedrigung der einstigen Gefährten hautnah mitzuerleben. Vom Stamm der Cantiacer, der Trinovanten und der Catuvellaunen war keiner vertreten, um sich Untertan zu machen. Sie gehörten bereits zu den eroberten Völkern, deren Länder fortan direkt von römischen Statthaltern verwaltet wurden.
Dann waren die Icener an der Reihe. Antedios, an dem die jüngsten Unruhen sichtlich gezehrt hatten, trat vor, gefolgt von Dubrac, seinem inzwischen nächsten männlichen
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