Avalons böse Schwestern
bleiben. Die Angst steigerte sich zur Panik. Ohne daß sie es eigentlich wollte, trat sie einen Schritt nach vorn.
Zu weit, denn da war die Kante.
Mit dem rechten Fuß rutschte sie ab.
Eine siebzigjährige Frau kann nicht so schnell reagieren wie eine die erst dreißig Jahre zählte. Anna fiel, jetzt schrie sie auf, und dieser Laut vermischte sich mit dem Aufprall. Hart war sie auf den Boden gestürzt und hatte sich dabei die rechte Kniescheibe geprellt. Ein heftiger Schmerz durchzuckte das Bein, und sie merkte, daß der Schwung sie weitertrieb und sie auf den Bauch fiel.
Anna schlug mit dem Kinn auf. Durch ihren Kopf zuckten die Stiche, sie stöhnte, versuchte trotzdem, sich aufzuraffen, aber das rechte Knie machte nicht mehr mit. Anna sank wieder zusammen.
Jetzt erst handelte der Pfarrer. Auch Ingles war durch den Anblick geschockt gewesen, obwohl er ihn irgendwie erwartet hatte. Er konnte nicht genau sagen, wie das geschehen war, aber seine Ahnungen hatten ihn zuvor gewarnt.
Er sah die Schlange und auch die drei Frauen.
Das war die Hölle!
»Bitte…«
Das klagend gerufene Wort der alten Frau riß Ingles aus seiner Erstarrung. Erst jetzt bemerkte er, daß Anna am Boden lag, er bekam einen heißen Schreck und schaute zu, wie sich die Frau zur Seite drehte und dabei auf ihr Knie deutete.
»Ich kann nicht mehr hoch.«
»Warte, ich helfe dir.« Er bückte sich und streckte dabei seine Hand aus.
In seinem Innern drückte sich die Aufregung zusammen und verwandelte sich in einen wahren Fiebersturm, der ihn durchtoste. Er merkte, daß er zu schwach sein würde, um das Grauen zu stoppen, aber wollte Anna und sich retten. Es war zumindest einen Versuch wert.
Beide Hände krallte er in ihre rechte Schulter. Dann zerrte er den Körper hoch und wunderte sich dabei, wie schwer die Frau war. Er taumelte dabei zurück und hütete sich davor, auch nur mit einem Blick das Fenster zu streifen.
Noch war es ruhig…
Anna half ihm mit. Sie stützte sich mit der linken Hand ab, kam dann hoch, wollte stehen, knickte mit dem rechten Bein ein und faßte sofort nach dem Pfarrer, um sich bei ihm abstützen zu können. Sie klammerte sich fest, atmete saugend die Luft ein und spürte den Druck der Tränen hinter ihren Augen.
»Weg hier…«
»Ich kann nicht laufen.«
»Du mußt es versuchen. Ich halte dich fest.«
Anna nickte. Der Pfarrer gab sein Bestes. Auch er war nicht besonders kräftig, doch er schaffte es, die Frau neben und halb hinter sich herzuschleifen.
Wenn sie die Tür erreichten, konnten sie im Flur verschwinden und in einer anderen Richtung durchqueren, denn dann würden sie an die Hintertür des Pfarrhauses gelangen.
Er ging langsam, aber er biß die Zähne zusammen. Anna trat nur mit dem linken Bein auf. Wenn sie das rechte belastete, hatte sie das Gefühl, ihr Knie würde explodieren.
Da zersplitterte die Fensterscheibe.
Es war im Prinzip ein normales Geräusch, den beiden allerdings kam es vor, als wäre damit das Tor zur Hölle geöffnet worden, um all die schrecklichen Wesen zu entlassen, die sonst im Feuer des Bösen schmorten und darauf lauerten, die Welt der Lebenden betreten zu können.
Anna quittierte das Klirren der Scheibe mit einem Schrei. Der Pfarrer aber drehte sich um, er bekam noch mit, wie die rothaarige Furie ihre Lanze zurückzog, mit der sie das Glas durchbrochen hatte. Zugleich sah er noch etwas anderes.
Die verfluchte Höllenschlange hatte sich aufgerichtet wie nach den Flötentönen eines Beschwörers, und sie pendelte mit dem Kopf von einer Seite zur anderen, während aus ihrem Maul ein gefährlich klingendes Knurren drang, vermischt mit einem zischenden Feuerstrom, der wieder von dichten Rauchwolken begleitet wurde.
Pfarrer Ingles wußte nicht, was er tun sollte. Und doch wuchs der Mann in dieser Situation über sich selbst hinaus. Er dachte plötzlich an seinen Rosenkranz, dem er immer vertraut hatte. Die Perlenschnur war an seiner Soutane befestigt. Er nahm sich nicht die Zeit, sie normal zu lösen, er riß den Kranz kurzerhand ab, sprach ein schnelles Gebet, ließ Anna liegen und lief todesmutig auf die Höllenschlange zu. Sie war dabei, sich auch noch mit ihrem Oberkörper in das Zimmer zu drängen, das wollte der Geistliche nicht zulassen.
Noch einen Schritt lief er.
Dann hob er den Arm, und als der Kopf mit dem offenen Maul nach vorn zuckte, schleuderte er seinen geweihten Rosenkranz tief in den Schlund hinein.
»Ersticke daran, Satan! Ersticke!«
Die Schlange
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