Avalons Geisterschiff
fast den Kopf abgeschlagen hätte.
War es vielleicht derselbe Kerl?
Der Typ drehte sich nicht um. Er bückte sich, und seine Hand wollte sich auf die Klinke legen. Wenn er es tatsächlich schaffte, das Haus auf diese Art zu betreten, dann lagen sämtliche Vorteile auf seiner Seite. Er würde in das Bad schleichen und von dort aus in den Wohnraum gelangen, wo eine Maxine Wells saß, die sich zwar sicherlich Sorgen um Carlotta machte, ansonsten jedoch an nichts Böses dachte.
Genau das konnte das Vogelmädchen nicht zulassen. Zwei Dinge passierten zur selben Zeit. Der Fremde berührte die Klinke, und Carlotta setzte sich mit einem langen Schritt in Bewegung. So lautlos wie möglich trat sie auf. Die andere Gestalt sollte auf keinen Fall einen Verdacht schöpfen. Wenn das passierte, konnte sie einpacken.
Er merkte nichts. Er stellte nur fest, dass die Hintertür leicht klemmte. Um sie zu öffnen, musste er daran zerren, was ihm anscheinend Probleme bereitete.
Seine rechte Hand rutschte von der Klinke ab.
Gehört hatte er nichts, und so war Carlotta nahe an ihn herangekommen. Allerdings nicht so nah, als dass sie ihn hätte berühren können. Es gab zwischen ihnen genau die richtige Distanz, um eingreifen zu können, was Carlotta auch tat.
Sie sprach ihn einfach an, und ihre Stimme klang nicht einmal besonders laut. »Was machst du hier?«
Der Kerl hatte sie gehört – und handelte sofort. Er entwickelte sich in den nächsten zwei Sekunden zu einem wahren Springteufel. Auf der Stelle wirbelte er herum, und die rechte Hand, in der er seinen Säbel hielt, machte die Bewegung mit.
Glücklicherweise hatte sich Carlotta darauf eingestellt. Als sie die Bewegung sah, zog sie sich mit einem kleinen Schritt zurück, sodass die Spitze der Klinge sie verfehlte. Zum zweiten Mal stach der Mann nicht zu, denn er war wohl zu überrascht, eine Person wie Carlotta vor sich zu sehen, und bei ihr war die Überraschung ebenfalls vorhanden.
War das noch ein normaler Mensch? Sie glaubte es nicht, denn sie sah sein bleiches Gesicht mit den glanzlosen, tot wirkenden Augen, die sie anglotzten, ohne sie richtig zu sehen. Ein schief wachsender Mund, dessen Lippen verkrustet waren, Haare, die an Fäden erinnerten, eine zum Teil aufgerissene Haut an den Armen, Lumpen als Kleidung, aber von einem Mordwillen getrieben, denn er stürzte sich mit stoßbereitem Säbel auf seine Gegnerin.
Der Kerl vom Geisterschiff war es jedenfalls nicht, denn der hatte einen dunklen Bart gehabt.
Carlotta musste zurück, und sie musste verdammt schnell sein, wollte sie nicht von der befleckten Klinge durchbohrt werden. Dabei rasten die Gedanken durch ihren Kopf wie kleine Blitze, die auch zu einem Ergebnis führten.
Diese Gestalt war kein normaler Mensch, obwohl sie lebte. Hinter ihr steckte etwas anderes. Ein Antrieb, der mit dem Begriff höllisch umschrieben werden konnte.
So viele Erfahrungen hatte Carlotta inzwischen sammeln können. Sie fragte auch nicht, woher die Gestalt kam, und sie wollte sich auch nicht auf einen Kampf mit ihr einlassen, für sie war es jetzt wichtig, sich vorläufig in Sicherheit zu bringen, und sie musste zudem Maxine Wells vor dieser Gestalt warnen.
Weiter nach hinten konnte sie nicht mehr. Da versperrten ihr die Bäume den Weg. Das wusste der Angreifer und stürmte vorwärts. Die Klinge des Säbels nahm wieder Kurs auf den Körper des Vogelmädchens, und sie hätte ihn durchstoßen, wenn sich nicht plötzlich die Flügel auf dem Rücken blitzschnell bewegt hätten.
Carlotta hob ab.
Bereits nach dem dritten Flügelschlag hatte sie die entsprechende Höhe erreicht, um sich in Sicherheit zu befinden. Auch wenn die Gestalt sich reckte und nach ihr schlug, sie würde nicht mehr getroffen werden.
Von oben her schaute Carlotta auf den Angreifer hinab. Der war von ihrer Aktion überrascht worden und musste sich erst mit der neuen Situation zurechtfinden.
Er stand auf dem Fleck. Breitbeinig, um den nötigen Halt zu haben. So konnte er sich auch drehen, aber bei diesen Bewegungen sah er Carlotta nicht. Er schien nicht mitbekommen zu haben, wohin sich Carlotta abgesetzt hatte. Und er brauchte auch die Wahrheit nicht herauszufinden, daran hatte Carlotta kein Interesse.
Sie schwang sich nach einem weiteren Flügelschlag noch höher, drehte ab und geriet außer Sichtweite des Säbelträgers. In einem weiten Bogen umflog sie das Haus und näherte sich von der normalen Eingangsseite. Dabei verlor sie an Höhe. Die letzten zwei Meter
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