AvaNinian - Drittes Buch (German Edition)
der Scheide und stürzte in das Vorzimmer der Fürstin, Tartuffe folgte ihm dicht auf den Fersen..
»Paul! Paul, mein Junge ...«
Berengar blieb wie angewurzelt stehen und verwünschte die Götter, die es in dieser Nacht offenbar auf ihn abgesehen hatten. Flüchtig überlegte er, ob er den Ruf nicht einfach überhören und Ralf de Berengar nachher vormachen solle, er habe seine Stimme nicht erkannt. Aber wenn der Onkel später Caedmon begegnete, kam die Geschichte doch heraus. Bei allen bösen Geistern, warum musste der alte Kerl so entsetzlich pflichtbewusst sein? Paul hatte ganz vergessen, dass der Schatzmeister manchmal bis tief in der Nacht im Palast blieb und sich über die Geldangelegenheiten der Großen Verschwenderin Dea den Kopf zerbrach. Warum ausgerechnet heute, wo alle anständigen Männer in der Villa d’Este spielten und sich volllaufen ließen?
Aber es half nichts. Paul ergab sich in sein Schicksal und drehte sich um. Sein Onkel war herangekommen und blickte ihm halb besorgt, halb erfreut entgegen. In letzter Zeit hatte er immer diesen Gesichtsausdruck, wenn er Paul begegnete. Der gute Mann war seinem Neffen herzlich zugetan, aber neuerdings streifte ihn manchmal ein leiser Zweifel, ob der wohlgeratene junge Mann wirklich nur das hübsche Gesicht und die schlanke Gestalt seines missratenen Vater geerbt hatte. Selbst er, der immer in den Büchern vergraben war und die üblichen Lustbarkeiten der adeligen Herren mied, hatte Gerüchte gehört ...
Deshalb freute er sich, als er den jungen Mann in Uniform sah, obwohl es ihn wunderte, dass er in solch unziemlicher Hast durch die Korridore des Fürstinnenpalastes rannte. Er legte dem Neffen die eine Hand auf die Schulter und reichte ihm die andere, die dieser artig küsste.
»Paul, ich wusste nicht, dass du heute Dienst hast. Gewiss meldetest du dich freiwillig?«
Die freundliche Stimme klang hoffnungsvoll, aber Paul wagte nicht, die Vermutung des Onkels zu bestätigen.
»Nicht ganz, Onkel«, erwiderte er mit entwaffnendem Lächeln, »der Hauptmann ist sehr streng. Aber ich hatte es verdient«, setzte er schnell hinzu.
Es wirkte immer gut, wenn man etwas freimütig und männlich zugab, hatte Fortunagra ihm beigebracht, meistens wurde einem dann schnell vergeben und man entging unangenehmen Fragen nach dem Warum und Wieso. Dass auch Ralf de Berengar ihm beigebracht hatte, zu seinen Fehlern zu stehen, hatte Paul schon lange vergessen. Wie immer hatte Fortunagra recht. Der Schatzmeister unterdrückte zwar einen Seufzer, aber dann lächelte auch er.
»So hast du gewiss einen eiligen Auftrag zu erfüllen, da du so rasch daherläufst, dass du deinen alten Onkel übersiehst, mein Junge?«, meinte er und Paul zermarterte sein Hirn nach einer glaubwürdigen Ausrede, denn wieder konnte er dem Alten nicht zustimmen. Wenn er mit einem erdachten Auftrag prahlte, saß er am Ende auch in der Scheiße ... ah, ja!
»Verzeiht, Onkel«, er krümmte sich und schnitt ein jämmerliches Gesicht, »aber mich drängt mein Gedärm. Ein plötzliches Bedürfnis, sehr ungelegen, aber um der Ehre der Wache willen ...«
Erschrocken winkte Ralf de Berengar ab.
»Bei den Göttern, geh nur, mein Junge, geh, aber dass sie euch auf Wache schicken, wenn ihr unwohl seid! Ich will doch mit Hauptmann Battiste darüber sprechen ...«
»Onkel«, Paul schrie es beinahe, nun wirklich verzweifelt. Gewaltsam riss er sich zusammen. »Bemüht Euch nicht, der Hauptmann kann nichts dafür, es fing gerade erst an. Gebt mir Urlaub, ich bitte Euch ...«
Er brauchte das Flehen nicht zu heucheln, sein Onkel verstand und wollte ihn gehen lassen, als zu Pauls ungläubigem Entsetzen Leutnant Caedmon um die Ecke des Ganges bog.
Er kam geradewegs auf die beiden Berengars zu und als er Paul erkannte, verfinsterte sich seine Miene so, dass der junge Mann die Übelkeit nicht mehr vortäuschen musste.
»Wachmann, ich traue meinen Augen nicht! Schon wieder habt Ihr Euren Platz verlassen! War ich nicht deutlich genug, habt Ihr mir nicht Euer Wort gegeben? Wie könnt Ihr es wagen?«
Der Schatzmeister hatte erstaunt von dem erzürnten Antlitz des Leutnants zu der niedergeschlagenen Miene seines Neffen geblickt und zog nun seine eigenen Schlüsse.
»Herr Offizier«, begann er würdevoll, »erlaubt, dass ich mich einmische. Wenn dieser junge Wachmann seine Pflicht vernachlässigt hat, dann geschah es wegen eines Bedürfnisses, dessen Forderungen nicht einmal der Patriarch ignorieren kann. Ihr habt gewiss
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