AvaNinian - Drittes Buch (German Edition)
diese Weise ebenso sicher verlieren konnte, wie durch den Tod. Eine leere, atmende Hülle. Es gab nichts, was sie mehr fürchtete als seinen Verlust, aber sie spürte auch die ungeheure Last unzähliger Tonnen Gesteins auf ihren Schultern, sah die ahnungslosen Menschen vor sich, die von den einstürzenden Steinen zermalmt und von panisch fliehenden Füßen zertreten, eines grausamen Todes starben ...
»NOCH IN ... TAUSEND JAHREN FEIERN!«
Ninian senkte den Blick.
»Wir müssen es trotzdem versuchen«, flüsterte sie tonlos und endlich nickte Jermyn. Sie hatten ihm zugejubelt, die kleinen Leute auf der Galerie! Das kam davon, dass man sich als Patron feiern ließ, dachte er mit bitterem Spott, darauf hatte er keinen Wert gelegt, aber nun würde auch das, woran ihm gelegen war, unter diesem gewaltigen Dreckshaufen begraben werden, die Scytenschule, der Aufzug, das ganze Geld, das er dort hineingesteckt hatte ...
Er riss sich zusammen.
Kläre deinen Geist, schalte deine Leidenschaften aus, deine Ängste, deine Wünsche, deine Abneigungen.
»Gut, aber wir brauchen Hilfe. Ich kann ihren Geist lenken, aber nicht gleichzeitig ihre Füße.« Finster sah er zu der hochgewachsenen, dunklen Gestalt in der Patriarchenloge hinüber. »Ich fürchte, wir werden nicht ohne ihn auskommen.«
»LASST ... DIE ... SPIELE ... BEGINNEN!«
Ninian sank in sich zusammen. Nun, da sie Jermyn nicht länger überzeugen musste, konnte sie sich tiefer mit dem wankenden, auseinanderbrechenden Gestein verbinden.
»Hört die Stimme der Mutter! Gehorcht! Ihr seid Gebein von meinem Gebein, ihr stammt aus meinem Schoß, folgt meinem Willen, bleibt zusammen, haltet stand, bis euch die Mutter entlässt - oh, Mutter hilf mir, stärke mich ...«
»Ich habe den Erdgeistern geboten, in die tieferen Schichten hinabzusteigen und die jämmerlichen, künstlichen Steingebilde auf meinem Rücken nicht länger zu bedrohen. Was durch die Unachtsamkeit der Menschen gefährdet ist, kann ich nicht retten, aber du weißt, meine Stärke ist in dir, Tochter, auch wenn du dich lange von mir fern gehalten hast!«
Ninian seufzte und schloss die Augen, die Berührung der Erdenmutter war nicht freundlich gewesen.
Jermyn aber wandte sich der Loge des Patriarchen zu.
»DER ... ZIRKUS ... IST ... ERÖFFNET!«
Duquesne lehnte mit überschlagenen Armen an der Wand. Die Kante bohrte sich in seinen Rücken, aber er begrüßte den Schmerz, hielt er doch den Zorn lebendig, der in ihm brodelte, seit das saubere Pärchen aufgetaucht war. Der Jubel und die Art, wie der überhebliche kleine Gockel ihn zum Schweigen gebracht hatte, waren ein Schlag ins Gesicht des Patriarchen und damit eine Beleidigung der Staatsmacht gewesen - es gab kein Verbrechen, das in Duquesnes Vorstellung schwerer wog.
Der Patriarch hatte wie immer klug gehandelt, um das Volk bei Laune zu halten, aber es war ihm schwergefallen. Selbst jetzt hatte sein Gesicht die normale Farbe noch nicht zurückerlangt. Aber er hatte sich tapfer durch die Rede gearbeitet und als die letzten metallischen Worte unter frenetischem Beifall verklungen waren, winkte er leutselig in die Menge.
Duquesnes Blick wanderte von dem breiten, purpurfarbenen Rücken zu Donovans blondem Schopf. Verkrampft lag der Rivale auf dem Ruhebett, rutschte hin und her und suchte vergeblich nach einer angenehmen Stellung. Jetzt richtete er sich auf, kerzengerade, und seine Haltung wurde noch absonderlicher. Er neigte den Kopf, als lausche er, dann erhob er sich langsam. Wie eine Puppe an den Schnüren des Puppenspielers trat er mit unsicheren Schritten zu Duquesne, bis er dicht bei ihm stand. Der süßherbe Geruch seines Duftwassers stieg Duquesne in die Nase, Donovans Gesicht war seltsam verzerrt und als er den Mund öffnete, kam nur ein Krächzen heraus. Er räusperte sich.
»Öffne deine Sperren!«
Duquesne fuhr auf. »Was fällt Euch ein? Seid Ihr von Sinnen?«
»Jermyn will mit dir sprechen«, fuhr Donovan fort, als habe er nichts gehört, »er sagt, es geht um Leben und Tod. Der Zirkus wird einstürzen ...«
Duquesne schnappte hörbar nach Luft und eine der Damen sah sich vorwurfsvoll um. Er hatte die Geistesgegenwart, sich höflich zu verbeugen, und zum Glück schmetterten die Fanfaren wieder los.
»Ihr habt einen Sonnenstich, Donovan, ich rufe einen Heiler«, sagte er kalt und wollte sich abwenden.
»Nein, nein, glaub mir, er ist in meinem Kopf. Ich höre ihn ... ja, ja, ich versuche es ja ...«, Donovan schloss gequält die
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