AvaNinian - Drittes Buch (German Edition)
standen.
»Was ist? Geht es nicht?«
»Nein, tut es nicht, verflucht! Wenn ich drankomme, könnt ich brüllen und manchmal verschwimmt alles vor meinen Augen.«
Darauf hatten sie den Fluss verlassen, weil ihn das Gehen auf dem Laubteppich unter den Bäumen weniger anstrengte.
Seit Stunden waren sie nun unterwegs und schienen immer langsamer zu werden. Zuerst hatte Ninian darauf geachtet, den Fluss in Sichtweite zu behalten, um die Richtung nicht zu verlieren, aber immer wieder hatten sie Felsen umgehen müssen und waren dabei tiefer in den Wald geraten. Zuletzt hatte sie alles andere über der Sorge um Jermyns Zustand vergessen. Bei den zahlreichen Rasten lauschte sie ab und zu auf das Rauschen des Wassers, aber das Wispern der Blätter täuschte sie und bald konnte sie die beiden Stimmen nicht mehr auseinanderhalten.
Ihre Gespräche waren verstummt. Das Laufen war Jermyn auf dem weichen Waldboden zunächst leichter gefallen, aber er hatte geschwiegen, weil sein Ärger wieder aufgeflammt war.
Jetzt, da die Schatten länger wurden, hätte er nicht reden können, selbst wenn er es gewollt hätte. Mit zusammengebissenen Zähnen zwang er sich zu jedem Schritt.
Ninian wagte nicht, ihm Hilfe anzubieten. Einmal hatte sie es versucht, aber er hatte knurrend den Kopf geschüttelt und entmutigt hatte sie aufgegeben. So trotteten sie hintereinander durch den dunkler werdenden Wald, bis auch sie Mühe hatte, die Beine zu heben. Ihr Magen schmerzte und zum Hunger gesellte sich der Durst.
Als sie das letzte Mal den Fluss gesehen hatte, war sie zum Ufer gelaufen, hatte einen Ärmel von ihrem Kittel abgerissen und mit Wasser getränkt. Der Stofffetzen war noch feucht und sie hob ihn an die ausgetrockneten Lippen. Es kamen nur spärliche Tropfen und sie drehte sich zu Jermyn um.
»Wir müssen zurück zum Fluss, das Ding ist fast trocken ...«
Sie erschrak. Er war ein Stück zurückgeblieben und stützte sich gegen einen Baum. Sie lief zu ihm, sein Gesicht war grau, er hatte die Augen halb geschlossen und sein Atem ging schnell, als hätte er einen Dauerlauf hinter sich. Als sie ihre Schulter unter seinen Arm schob, ließ er es geschehen und lächelte schwach.
»War wohl doch giftig, das Biest«, murmelte er, »ich möchte kotzen, so schlecht ist mir ...«
»Wir können jedenfalls nicht weitergehen«, erwiderte sie mit mehr Forschheit, als sie empfand. »Es hilft nichts, wir müssen noch eine Nacht hier verbringen. Dein Fuß kann sich erholen und wenn du geschlafen hast, bist du wieder bei Kräften. Ich bin sicher, dass wir den größten Teil des Weges hinter uns haben, morgen schaffen wir den Rest. Dann wird aus dem Abendessen eben ein Frühstück«, schloss sie mit verzweifelter Zuversicht.
»Sprich nicht vom Essen ...«
Jermyn ließ sich zu Boden gleiten und lehnte sich dankbar an den Stamm in seinem Rücken. Zwischen zwei mächtigen Wurzeln lag eine tiefe, mit Laub gefüllte Kuhle, in die sie beide hineinpassten, wenn sie dicht zusammenkrochen. Ninian löste den Verband von Jermyns Fuß und er sog zischend den Atem ein, als sie die verletzte Ferse berührte. Vorsichtig hob sie sein Bein auf ihren Schoß, aber in dem schwindenden Licht konnte sie nur erkennen, dass die Wunde dunkel verfärbt war. Er musste große Schmerzen haben, als sie seinen Fuß nur leicht streifte, entfuhr ihm ein Stöhnen.
»Nicht anfassen«, keuchte er, »nicht anfassen ...«
Ninian bettete den Fuß ins Moos und setzte sich neben ihn. Als sie ihn tröstend in den Arm nahm, spürte sie, dass er zitterte. Ihr schien es nicht kalt, das Laufen hatte sie selbst im Schatten des Waldes warmgehalten, doch ihm liefen Schauer über den Leib wie nach seinem unfreiwilligen Bad.
»Frierst du?«
Zur Antwort klapperten seine Zähne und sie häufte Laub über ihn.
»Willst du dich hinlegen?«
»N...nein, da...dann ver...versink ich ...«
Sie stutzte und eine Weile saßen sie still in der zunehmenden Dunkelheit.
»N...Ninian, ich se...seh St...Sterne ...«
Sie musste eingenickt sein, denn beim Klang seiner Stimme fuhr sie hoch.
»Was?« Erschrocken tastete sie nach seiner Stirn, aber dann flimmerten auch vor ihren Augen winzige Lichter durch die Schwärze. Erleichtert lachte sie auf.
»Die seh ich auch, mein Lieber. Das sind Feuerfliegen, man sieht sie nur in warmen Sommernächten. Sie sind ein gutes Omen«, sagte sie hoffnungsvoll.
»Da bin ich ja beruhigt.« Er klang müde, aber seine Stimme war wie sonst und Ninian entspannte sich ein wenig.
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