AvaNinian - Drittes Buch (German Edition)
anspruchsvoll wie einfallsreich, aber er schmeichelte sich, dass er sie vollkommen zufrieden stellte, ja, dass sie von seinen Diensten geradezu abhängig war. Und das würde er ausnutzen.
Durch ihre Hilfe hoffte er, noch weiter in den inneren Zirkel um den Patriarchen vorzudringen, sei es um für seinen Gönner auszukundschaften, was dort vor sich ging, sei es um einen Fuß auf der anderen Seite zu haben, sollte der große Plan des Ehrenwerten misslingen. Ein kluger Mann musste sein Mäntelchen nach dem Wind hängen. Er hatte auch versucht, seinen Onkel auszuhorchen, aber der hatte nichts preisgegeben. Als habe er die Absicht hinter den unschuldig klingenden Fragen herausgehört, hatte er dem Neffen einen langen, öden Vortrag über Treue, Loyalität und Verschwiegenheit gehalten.
Nun ja, er konnte auch schweigen, sein Onkel hatte keine Ahnung von seinem Verhältnis zu Fortunagra und von dem, was er trieb, wenn er sich höflich von ihm verabschiedete. Manchmal fühlte er allerdings den Blick des Alten nachdenklich und ein wenig traurig auf sich ruhen. Dann schien es ihm ratsam, einen Abend friedvoll in der düsteren Bibliothek zu verbringen und in dem dicken Folianten zu stöbern, der die ruhmreiche Familiengeschichte enthielt. Als Kind hatte ihn nichts so sehr begeistert, als, auf den Knien seines Onkels sitzend, den mächtigen, weitverzweigten Stammbaum der Familien Berengar und Luxor zu betrachten und davon zu träumen, dass es ihm beschieden sei, den alten Glanz wieder aufleben zu lassen. Dafür lohnte es, einem lüsternen alten Mann und einer mageren Henne zu Willen zu sein ...
Diese Überlegungen gefielen ihm so, dass sich seine griesgrämige Miene aufgehellt hatte, als sie die Stallungen verließen. Niccolo schlug ihm kräftig auf den Rücken.
»Was treiben wir jetzt? Unser Dienst beginnt erst zur sechsten Stunde. Wollen wir zu den hübschen Mädchen? Das riecht der alte Battiste wenigstens nicht wie den Wein, nach dem er immer schnüffelt. Was meinst du, Freund und Waffenbruder?«
»He, leg deine Pranken woanders hin«, Paul knuffte den anderen derb in die Seite, aber insgeheim war er stolz darauf, von Niccolo d’ Este wie seinesgleichen behandelt zu werden. Er hakte den Freund unter.
»Lass ihn doch schnüffeln«, grinste er, »wir sagen einfach, der Bader hätte uns einen Zahn gezogen, daher der Schnapsgeruch. Aber höre, ich will vorher zu meinem Schneider. Ich hab’ ein neues Wams bestellt und die Stoffe, die er mir zumuten wollte, waren derart mies, dass ich ihm fast eine übergezogen hätte. Jetzt hat er mir Nachricht gesandt, er habe eine neue Lieferung bekommen. Danach können wir saufen.«
21. Tag des Hitzemondes 1465 p.DC.
Kaye hockte in seiner Lieblingsstellung auf dem Boden, die Füße flach auf die honigfarbenen Holzbohlen gepflanzt, die Ohren zwischen den spitzen Knien, und steckte, die Brauen in ernsthafter Sammlung gerunzelt, den Saum eines prächtigen Brokatrockes fest. Als die Kante zu seiner Zufriedenheit befestigt war, winkte er gebieterisch, da er den Mund voller Stecknadeln hatte, und die Dame, Herrin über einen großen Haushalt, den sie mit fester Hand regierte, drehte sich gehorsam, bis er ihr mit einem ungeduldigen Schnaufen Einhalt gebot.
Durch das geöffnete Fenster strömte der Duft blühender Sträucher in den freundlichen Raum, das Sonnenlicht spielte über den Damast der Wandbespannung, die rosenfarbene Marmorverkleidung des Kamins und die zierlichen Möbel aus hell gebeiztem Holz. Es glitzerte auf den Gold- und Silberfäden des kostbaren Stoffes, an dem Kaye arbeitete.
Neben ihm lag sein Handwerkszeug ausgebreitet, die Sonne schien ihm warm auf den Rücken und auf dem kleinen Tischchen stand eine Karaffe mit leichtem Fruchtwein und eine Schale mit kleinen, runden Kuchen. In diesem Haus wurde immer für sein leibliches Wohl gesorgt, ein weiterer Grund, weshalb er alles stehen und liegen ließ, wenn die Dame nach seinen Diensten verlangte.
Er sah zu ihr hoch und bewunderte wie so oft den schlanken Wuchs und die aufrechte Haltung seiner liebsten Kundin. Wie ein Echo seiner Gedanken erklang eine vorwurfsvolle Stimme:
»Deine Taille ist wieder so schmal wie vor der Schwangerschaft, Sabeena. Ich frage mich, wie dir das gelingt, mir hat jedes Kind zwei Zoll Leibesumfang mehr hinterlassen.«
Kaye hätte gerne gegrinst, aber die Stecknadeln ließen es nicht zu. Da hatte sie allerdings recht, die Ehrenwerte Paola d’Este, sie war von üppiger Rundlichkeit, die sie
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