AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
Fräulein den schmachtenden Blick am liebsten aus dem Gesicht geschlagen. Endlich grinste er und warf das Spielzeug über das seidene Band. Das Fräulein machte keine Anstalten es zu fangen, der Ball fiel zu ihren Füßen nieder. Anmutig sank sie zu Boden, die Röcke bauschten sich höchst kleidsam und der spitzengesäumte Ausschnitt bot einen tiefen Blick auf ihren Busen. Sie nahm den Ball und erhob sich, ohne Jermyn aus den Augen zu lassen. Die zarten, blaugeäderten Lider unter der ausrasierten Stirn flatterten.
»Viellieben Dank, Freund, ich stehe tief in deiner Schuld«, gurrte sie, »du hast etwas gut bei mir – wann immer du willst.«
Ninian verschlug es den Atem und Jermyn hob die Brauen.
»Wie überaus großzügig«, meinte er gelangweilt, »aber ich kaufe keine gebrauchte Ware.«
Das kleine Gesicht unter dem kunstvoll geflochtenen Blondhaar wurde weiß und hart, der bemalte Mund flüsterte ein paar Worte, die Jermyn einen anerkennenden Pfiff entlockten. Er drehte sich um und ließ das Fräulein stehen.
»Da sind mir ja die Hafenhuren lieber«, sagte er unbekümmert, ob sie seine Worte hörte.
Ninian war ihm schweigend gefolgt, so wütend, dass sie selbst davor erschrak.
Die Wut steckte immer noch in ihr, während sie in der perlgrauen Dämmerung saß.
Jermyn hatte sich verändert. Er war nicht mehr der magere, hässliche Gassenjunge, über dessen rotes Haar man sich lustig machte. Die herausfordernde Haartracht, sein unerschütterlicher Hochmut und der vom Klettern gestählte Körper beeindruckten die Frauen, wenn sie den Blicken glauben durfte, die ihn im Vorübergehen trafen.
Ninian schauderte, als eine leise Brise über ihre nackten Arme fuhr.
Nicht sein Äußeres hatte sie im Haus der Weisen angezogen. Sie hatte sich ihm verbunden gefühlt, mehr als jedem anderen Menschen, doch sein Begehren hatte sie erschreckt und sie war vor seiner Umarmung zurückgewichen. Er hatte sie in Ruhe gelassen und sie war dankbar dafür gewesen, aber allmählich bedauerte sie seine Rücksicht.
Geblendet schloss sie die Augen vor der Lichtfülle, die sich über die Trümmer ergoss, als die Sonne jetzt über den Horizont stieg. Sie rutschte von dem Türsturz, tastete sich in ihr Schlafgemach zurück und kroch zwischen die Decken.
Sie hatte nicht geschlafen und heute wollte er klettern. Sie vergrub den Kopf in den Polstern, um das goldene Licht auszuschließen, das über Dea hinwegflutete.
Der Morgen, der so triumphierend begonnen hatte, war einem verhangenen Vormittag gewichen. Doch musste die Sonne mit unverminderter Glut vom Himmel brennen, denn unter dem Dunst brütete die Stadt wie in einem gewaltigen Waschhaus.
Ninian stand am Fuße der Hauptfassade des alten Kaiserpalastes und knotete widerwillig das Seil um ihre Taille. Als sie mit müden Augen und schwerem Kopf die Leiter heruntergekommen war, hatte sie nicht die geringste Lust zum Klettern gehabt. Aber Jermyn, ausgeschlafen und hellwach, hatte sich weder durch Bitten noch durch Klagen erweichen lassen.
»Das beste Mittel, um die Müdigkeit auszutreiben ist es, an einer schönen, kühlen Mauer zu hängen und zu wissen, dass zwanzig Fuß unter dir ein verdammt harter Steinboden liegt«, erklärte er unbarmherzig.
»Aber Jermyn ...«
»Jammre nicht, sonst setzen wir noch ein paar Übungen am Streckbrett drauf«, fügte er streng hinzu und da er imstande war, seine Drohung wahrzumachen, ergab sie sich missmutig in ihr Schicksal. Klettern war eines der Dinge, bei denen er keinen Spaß verstand.
Auf ihren ersten Rundgängen durch die Viertel der Reichen, hatte er ihr die Häuser gezeigt, denen er einen Besuch abgestattet hatte, wie er seine Einbrüche vornehm umschrieb. Ausführlich verbreitete er sich über die Herausforderungen, denen er begegnet war, beschrieb ihr in allen Einzelheiten die Wege, die er über Mauern und Fassaden genommen hatte, bis sich diese Unternehmen in ihrer Vorstellung kaum mehr von den heimlichen Kletterpartien im Haus der Weisen unterschieden.
»Und wann nimmst du mich mit, auf deine ... deine Besuche?«
Er schien es nicht eilig zu haben, sie darin einzuführen, und sie hatte nur einen überlegenen Blick geerntet.
»Dich? Du taugst noch lange nicht für so was.«
»Ach? Aber für die Geschichte bei Fortunagra war ich gut genug?«
»Da bin ich aus lauter Angst fast gestorben und das halte ich auf die Dauer nicht aus. Ich muss sicher sein, dass du zur Not allein zurecht kommst, wenn mir was zustößt und so weit bist du noch
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