AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
leichten Männerbogen kann ich jedenfalls jetzt ohne Mühe spannen.« Sie warf Jermyn einen Seitenblick zu. »Vielleicht war die Schinderei an deinen Foltergeräten doch zu was Nutze.«
»Ach, das erkennst du jetzt erst?«, fuhr er auf, aber sie drückte lachend seinen Arm und er merkte, dass sie ihn nur neckte. Der Friede war wieder hergestellt und sie machten sich einträchtig auf den Heimweg.
An einer Garküche erstanden sie gebackene Fischkuchen, die sie im Schatten der mächtigen Ruine des Alten Zirkus verzehrten. Sie sahen dem einarmigen Koch zu, der geschickt an dem primitiven Tonnenofen hantierte, während ein halbwüchsiger Junge die rohen Kuchen formte und die fertiggebackenen in Schilfblätter wickelte. Die Narben, die Gesicht und Oberkörper des Mannes bedeckten, verrieten den ehemaligen Gladiator.
»Sollt mich nich wundern«, meinte Wag plötzlich, »wenn der Bulle auch bald Fischkuchen backen muss. Der macht in der letzten Zeit 'ne traurige Figur, was, Patron?«
»Ja, es ist 'ne Schande und ich frage mich ...«
Er unterbrach sich und kaute schweigend, während Wag sich in Mutmaßungen über den Niedergang des berühmten Ringers erging.
Jermyn hatte seinen Fischkuchen aufgegessen und betrachtete nachdenklich seine fettverschmierten Finger. Dann tätschelte er liebevoll Wags Schulter. »Halt den Rand, mein Herz, du redest von Sachen, von denen du nichts verstehst. Ich weiß, warum der arme Kerl so mies drauf ist und ich weiß auch, wie man ihn wieder auf die Beine bringt.«
»Ach ja?«, machte Wag beleidigt. »Das wüsst ich aber auch gerne.«
Aber Jermyn grinste nur und legte den Finger auf den Mund.
»Wusstet ihr, dass die Alten hier Kämpfe mit riesigen Tieren aus den heißen Ländern ausgefochten haben, dass es richtige Schlachten zwischen mehreren Armeen und sogar Seeschlachten gab?«, ließ Ninian sich vernehmen. Versunken in den Anblick der gewaltigen Zirkusruine, hatte sie auf das Geplänkel nicht geachtet.
»Ja, sicher, erzähl uns Märchen«, erwiderte Jermyn und selbst Wag schniefte ungläubig, aber sie ließ sich nicht beirren.
»Aber so war es. Vitalonga hat es mir gezeigt, er hat alte Bilder davon. Du wolltest ja nicht mitgehen, vor zwei Tagen«, sagte sie vorwurfsvoll. Sie hatten ihre Mahlzeit beendet und gingen weiter, als Wag plötzlich mit dem Daumen über die Schulter zeigte.
»Die wolln ihn wieder aufbauen.«
»Was?«, Jermyn blieb stehen. »Das alte Gemäuer? Woher hast du die Weisheit?«
»Es gibt 'ne Kneipe, wo die Burschen trinken, die im Ratssaal aufwarten«, antwortete Wag vage, »die hör'n so allerhand. Der Patriarch will jedenfalls dem Volk was Gutes tun un die Koofmichs soll'n das Geld geben.«
»Pah, was Gutes tun ... hoffentlich fällt ihm nicht ein, sich an unseren Ruinen zu vergreifen«, knurrte Jermyn.
Am nächsten Tag kletterten sie und da Ninian ausgeschlafen war, ließ sich die Partie besser an. Jermyn hatte einen alten Wachturm ausgesucht, der frei etwa in der Mitte des Ruinenfeldes stand und die anderen Bauwerke überragte. Außer Schießscharten an allen vier Seiten unterbrach kein Zierrat die himmelstürmende Flucht der hundert Fuß hohen Wände.
Unterhalb der Zinnen, die den Turm bekrönten, hatten die Alten ein sechs Fuß breites Sims angebracht, die einzige Schwierigkeit für einen guten Kletterer, man musste sich an der Unterseite des Simses entlang hangeln, um auf die Mauerkrone zu gelangen.
Jermyn hatte den Überhang schon bezwungen und Haken eingeschlagen. Es war ein hartes Stück Arbeit gewesen, aber Ninian war dankbar für das Seil, das sie sicherte. Heute schweifte ihre Aufmerksamkeit nicht ab, sie spürte den Sog der Tiefe in ihrem Rücken und musste auf jeden Handgriff achten. Als sie sich endlich auf das Sims ziehen konnte, stieß sie einen erleichterten Seufzer aus. Jermyn lehnte gegen eine Zinne und lächelte.
»Ruh dich aus, wir haben Zeit.«
Sie löste das Seil um ihren Leib und streckte sich auf dem Stein aus. An manchen Tagen hockten sie lange auf so einem Absatz oder auf dem Dach eines Hauses und genossen die Aussicht über die Stadt. Wenn es klar war, konnte man weit sehen, bis zum Hafen hinunter und dem blauen Streifen der Inneren See oder auf die gewaltige Kuppel des Tempels Aller Götter. Heute brütete Dea unter einer Dunstglocke, die Sicht reichte kaum über das Ruinenfeld hinaus.
Eine ganze Weile lag Ninian mit geschlossenen Augen und rang nach Atem. Die schwüle Luft lastete erstickend auf ihrer Brust.
»Was
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