AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
über dem letzten stand mit dicken schwarzen Buchstaben: Verbrenn alles!
Es hätte dieser Aufforderung nicht bedurft. Mit einem Satz sprang Sabeena aus dem Bett zum Kamin, wo sie die drei Briefe und das Tuch ins Feuer warf. Wieder und wieder fiel der Schürhaken auf die sich kräuselnden Blätter und erst als nur noch puderige Asche übrig war, ließ sie das Eisen keuchend sinken.
Sie stürzte zum Bett zurück und schüttete den Beutel auf ihrer Bettdecke aus. Ein kleine Glasphiole mit einer roten Flüssigkeit und ein Ring fielen heraus. Sie betrachtete die Phiole verständnislos. Blutrot funkelte sie in einem Sonnenfleck auf dem weißen Laken und ein Schauder durchfuhr Sabeena.
Auf dem weißen Hemd würde nichts zu sehen sein, weil es schon zerrissen war, doch in dieser Phiole lag ihre Rettung! Wenn es ihr gelang, Hemd und Laken zu beflecken, ohne dass Artos etwas merkte, konnte sie ihre Ehre bewahren. Sie kannte den Moment, wenn die Männer in ihrer rücksichtslosen Ekstase alles um sich her vergaßen, sie dagegen würde kalt bleiben ...
Wo sollte sie die Phiole verbergen? Die Priesterinnen würden sie entkleiden, baden und salben und mit nichts anderem als ihrem Brauthemd bekleidet in das Hochzeitsgemach führen.
Ihr Blick fiel auf ihr Spiegelbild. Seit sie Braut war, erlaubte die Mutter einen Spiegel in ihrem Zimmer. Sie erkannte sich fast nicht in dem Mädchen mit den großen leuchtenden Augen, dem roten Schimmer auf den Wangen und den langen blonden Haaren, die sich aus den Flechten gelöst hatten.
Beinahe hätte sie in die Hände geklatscht. Die verschlungene Frisur würde das winzige Fläschchen verbergen! Den Priesterinnen würde sie sagen, dass Artos ihr Haar lösen solle. War sie erst mit ihm allein, würde sich alles weitere finden.
Eine eigentümliche Zuversicht erfüllte sie und neugierig griff sie nach dem letzten Gegenstand auf der Decke. Es war ein Ring aus schwerem Silber mit einem auffälligen Stein, einem Stein, den sie kannte.
Der Augenachat! Das einzige Juwel, das der alte Kunsthändler vermisst hatte, als der Brautschatz zurückgekehrt war!
Auch dies war ein Zeichen dafür, dass ihre Bedrücker keine Macht mehr über sie hatten, dass sie frei war und mit erhobenem Haupt in diese Ehe gehen konnte. Flüchtig fragte sie sich, wer ihr wohl geholfen hatte, aber vielleicht war es besser, es nicht zu wissen. Wer auch immer es war, er war ihr wohlgesonnen und das genügte.
Den Ring würde sie bei sich tragen und vor den Augen des Patriarchen zu dem Brautschatz legen, wenn die Übergabe der Mitgift stattfand. Damit hatte sie ihre Schuld abgegolten.
Als die Jungfern kamen, um ihre Herrin bräutlich zu schmücken, blieben sie mit offenen Mündern auf der Schwelle stehen.
Das stumpfsinnige Geschöpf der letzten Wochen war verschwunden. Statt seiner stand eine junge Frau hoch aufgerichtet in der Mitte des Gemachs und befahl ihnen mit fester Stimme, sich mit Ankleiden und Frisieren zu sputen.
Gerade so aufrecht saß sie in der Sänfte und blickte über die Köpfe der Träger hinweg auf den massigen Bau des Patriarchenpalastes, den sie als Sabeena Sasskatchevan verlassen würde. Ihr erstes Kind, ob Sohn oder Tochter, würde den Namen Castlerea tragen, sobald sie ein zweites hervorgebracht hatte – so war es nach zähem Ringen ausgehandelt worden. Aber das lag in weiter Ferne, all ihre Gedanken waren auf die bevorstehenden Zeremonien gerichtet.
Der plötzliche Umschwung von abgründiger Verzweiflung zu vorsichtiger Hoffnung machte sie schwindelig, wie im Traum rauschten die jubelnden Gesichter an ihr vorüber.
Als die Sänfte sich dem Fuß der Treppe näherte, fiel ihr Blick auf zwei junge Leute, die nicht wie die anderen schrien und gestikulierten.
Das Mädchen hatte fremdartige, liebliche Züge, aber in den hellen Augen lag keine Wärme.
Vor ihrer offen gezeigten Verachtung scheute Sabeena zurück und wurde von schwarzen Augen eingefangen.
Sie erschrak. Schon einmal hatte sie dieser harte Blick in Angst versetzt. Doch nun streifte sie ein Gefühl der Beruhigung, sanft wie eine Vogelschwinge.
»Hab keine Angst.«
Sabeena fuhr zusammen. Ein winziges Lächeln zuckte um die Mundwinkel des jungen Mannes und plötzlich wusste sie, dass sie ihm ihre Erlösung zu danken hatte.
Sie konnte nicht lächeln, aber sie neigte kaum merklich das bräutlich geschmückte Haupt und sein Lächeln vertiefte sich.
Dann war sie vorbei und am Fuße der Treppe stand Donovan, um ihr aus der Sänfte zu
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