AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
die Händler ein und kleine Beutel wechselten die Besitzer. Zwei Fuhrknechte gerieten in Streit und gingen mit Fäusten aufeinander los, aber ein hünenhafter Schlosswächter trat dazwischen, packte sie am Kragen und schüttelte sie wie junge Hunde, bevor er sie in verschiedene Richtungen stieß. Der eine taumelte, der andere landete im Dreck und die Umstehenden lachten schadenfroh. Auch Ava lächelte – mit dem großen Knut war nicht zu spaßen, das hatten schon viele zu ihrem Schaden erfahren.
Lautes Gelächter und Händeklatschen erregten ihre Aufmerksamkeit. Hinter den Wagen bestaunten ein paar Müßiggänger die Kapriolen von Imekes Gaukler. Er jonglierte mit Mützen, Halstüchern und allem, was er seinen Zuschauern entwenden konnte. Imeke stand dabei, strahlend vor Freude und immer, wenn der junge Mann mit seinen Bocksprüngen an ihr vorüber kam, unterbrach er seine Vorstellung und gab ihr einen herzhaften Schmatz. Die Zuschauer johlten und das Mädchen kreischte jedes Mal, aber sie rührte sich nicht vom Fleck. Die derben Zärtlichkeiten schienen ihr zu gefallen.
Ava war das Lachen vergangen. Sie stand auf und setzte sich an den Tisch, um ihrem Vater und dem Baumeister zuzuhören.
»Warum sind sie so stur?«
Der Fürst ließ die Hand schwer auf den Tisch fallen, die Feder, die auf den Papieren vor ihm lag, sprang hoch und Tintenspritzer befleckten das oberste Dokument. Ärgerlich streute der Fürst Sand darauf und fuhr fort:
»Es ist zu ihrem eigenen Besten. Bessere Straßen bedeuten besseren Handel, mehr Austausch, mehr Leben, es kommt doch auch ihnen zugute. Und doch muss ich ihnen jeden Groschen aus der Nase ziehen.«
Es ging, wie so oft, um Geld. Der Vater hoffte, mehr Kaufleute, aber auch Künstler und Wissende in sein Land zu holen. Dafür mussten die alten Heereswege ausgebessert und neue Straßen gebaut werden. Bauern und Handwerker wollte er nicht mit zusätzlichen Steuern belasten und so versuchte er seit vielen Jahren, die Edelleute und reichen Kaufherrn zum Zahlen zu bewegen. Aber gerade das adelige Volk mochte nicht einsehen, dass neue Straßen auch zu ihrem Vorteile waren. Sie beäugten die Fremden, die ins Land kamen ebenso misstrauisch wie ihren Fürsten, dem sie seine niedrige Herkunft lange nicht vergeben hatten.
Und so war die Geldbeschaffung für den Straßenbau ein Thema, das Ava fürchten gelernt hatte. Als sie den hin und her gehenden Überlegungen lauschte, den langatmigen Ausführungen des Baumeisters, die sie schon so oft gehört hatte, überkam sie lähmende Trostlosigkeit. Auch diese Aufgabe, mit der ihr Vater sich seit Jahren quälte, würde auf ihren Schultern landen. Sie sah die Jahrzehnte vor sich, in denen sie mit den hartnäckigen Edlen streiten musste, das zähe Ringen um jede Meile, um jede Goldmünze. Ihr Vater freute sich, wenn ein neues Wegstück fertig war, aber Ava konnte sich nicht vorstellen, darüber jemals Freude zu empfinden.
»Ich bin gefangen«, dachte sie entsetzt, »ich bin jetzt schon gefangen, obwohl es noch lange Vaters und Mutters Aufgaben sind.«
Die ruhigen Stimmen wurden ihr unerträglich. Hastig stand sie auf, murmelte eine Entschuldigung und verließ das Zimmer. Im Gang lehnte sie die Stirn an die harten, rauen Mauersteine und versuchte die graue Verzweiflung niederzuringen, die sich ihrer bemächtigen wollte. Sie durfte ihr nicht nachgeben!
Eyra fiel ihr ein und Ava beschloss, sie aufzusuchen, wenn auch nur, um sich abzulenken und ihr zu sagen, dass sie es nicht schätzte, wie ein Dienstbote herbeizitiert zu werden.
Die Tante lebte alleine in dem runden Wohnturm, der ebenso alt war wie die große Halle. Hoch oben unter den schwarzen, mit Stierblut gehärteten Dachbalken hatte sie ihre Studierstube, wo sie Besucher und Ratsuchende empfing. Die ausgetretenen Stufen wanden sich im Halbdunkel in die Höhe, sie erinnerten Ava an den Turm im Haus der Weisen.
Nicht daran denken, nicht daran denken ...
Sie nahm mehrere Stufen auf einmal und erreichte außer Atem die altertümliche Holztür, die einen Spalt offen stand.
»Komm herein, Avaninian.«
Der Ruf war erklungen bevor Ava klopfen konnte. Sie stieß die Tür heftig auf und öffnete den Mund, um Eyra böse anzufahren, aber wieder kam ihr die Tante zuvor.
»Auch wenn es dir nicht passt, es ist dein Name«, sagte sie ohne aufzusehen. »Verschwende nicht meine Zeit mit albernen Vorwürfen, nachdem du mich schon so lange hast warten lassen.«
Ava kniff die Lippen zusammen, aber Eyra winkte
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