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Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst

Titel: Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dror Mishani
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keine Schlüssel mitgenommen?«
    »Ich meine, das ist ein alter Schlüssel, wir haben das Schloss mal ausgetauscht«, erklärte sie. »Ich kann nachschauen.«
    Er stand auf, und sie tat es ihm nach.
    »Ofer ist ein sehr ordentlicher Junge«, stellte er fest.
    Die Mutter betrachtete das Zimmer, und er meinte, Erstaunen in ihren Augen zu sehen. »Ich hab gar nicht gewusst, dass er so ordentlich ist«, sagte sie. »Die Schubladen hab ich nie aufgemacht.«

    Am Nachmittag verabschiedete er sich von Hannah Sharabi, ohne etwas über Ofer erfahren zu haben, das er nicht schon vor seinem Besuch gewusst hätte. Er stieg in seinen Wagen und machte sich auf den Heimweg, aber diesmal hielt er am Einkaufszentrum, parkte, überquerte die Straße und setzte sich in Joe’s Café auf einen Platz im Freien. Das Café war so gut wie leer. Er griff sich einen ganzen Stapel Wochenendausgaben der Zeitungen und bestellte einen doppelten Espresso und ein Stück Karottenkuchen. Das würde seine Geburtstagsfeier werden.
    Was den Fall betraf, hatte er keine Ahnung, wie er weiter vorgehen sollte. Er hatte nicht einmal den leisesten Ermittlungsansatz, und seine einzige Hoffnung lag in dem Anruf aus Ashdod, auch wenn ihm nicht klar war, warum. Die Mutter hatte er allein in der Wohnung zurückgelassen. Ilana hatte ihn seit dem Morgen nicht mehr angerufen. Es war ein Freitag wie alle Freitage, an denen sich die Leute nach und nach in ihre eigenen vier Wände und Angelegenheiten zurückzogen.
    Die Artikel in den örtlichen Zeitungen waren von grotesker Banalität. Die meisten befassten sich mit Menschen, die deutlich jünger waren als er. Nur in der Haaretz fand er einen ernsthaften Artikel über den Kampf um den Posten des obersten Polizeikommandeurs, in dem ziemlich präzise die Streitigkeiten in der Führungsspitze des Polizeiapparates beschrieben wurden. Zudem war andeutungsweise von den Sexskandalen eines Bewerbers die Rede, dem Avraham Avraham nie persönlich begegnet war, um dessen zweifelhaften Ruf er aber wusste.
    Er entzündete eine Zigarette an der anderen, und um Punkt sechs fuhr er zu seinen Eltern. Wie üblich waren sie mitten in einer Diskussion. Seine Mutter öffnete ihm die Tür und gab ihm einen Kuss auf die unrasierte Wange. Dann rief sie seinem Vater zu: »Gut, es reicht jetzt, Avi ist da und wir können essen.«
    »Nein, ich möchte, dass du im Internet nachsiehst.« Sein Vater schlug die karierte Wolldecke zur Seite, kam aus seinem Sessel im Wohnzimmer hoch und drückte dem Sohn die Hand. Er trug eine dunkle Jogginghose und ein altes Armeeunterhemd.
    »Was sollst du nachschauen?«, fragte Avraham Avraham seine Mutter, und sein Vater antwortete an ihrer Stelle: »Ob es Mücken gibt. Sie sagt, dass es bis Juli bei uns keine Mücken gibt, aber mich haben sie die ganze Nacht zerstochen.«
    »Da sind keine Mücken. Er macht alle Fenster im Haus zu, stellt die Klimaanlage auf neunzehn Grad und verkriecht sich unter seiner Decke. Und ich erfriere. Warum muss ich mich fühlen, als wäre ich im Krankenhaus? Weißt du, wie die Luft draußen ist? Wozu können wir denn in drei Richtungen lüften? Avi, wie ist die Luft draußen?«
    Was konnte er schon über die Luft sagen?
    »Man könnte meinen, wir sind in der Schweiz«, moserte sein Vater. »Es ist warm draußen, deshalb die Mücken.«
    »Gut, dann eben Mücken, aber tu mir einen Gefallen und zieh dir endlich was an, wir feiern Avis Geburtstag, und so kannst du dich nicht zu Tisch setzen.«
    »Warum, bist du etwa festlich angezogen? Was stimmt mit meinen Sachen nicht? Avi, ist es für dich in Ordnung, wenn ich so bleibe? Er ist doch kein Fremder, dass ich mich seinetwegen umziehen müsste.«
    Weil sie nur zu dritt waren, hatte seine Mutter nicht den großen Esstisch im Wohnzimmer gedeckt, sondern nur den kleinen Tisch in der Küche. Aber sie hatte eine weiße Tischdecke darübergebreitet, das gute Service herausgeholt und die Bestecke auf einmal gefalteten, roten Papierservietten plaziert. In die Mitte des Tisches hatte sie zur Dekoration eine Flasche Rotwein gestellt, die sie nicht öffnen würden. Sie kochte vor Wut. »Weißt du was? Trag doch, was du willst. Zieh dich nicht um, setz dich mit deinen stinkenden Klamotten, in denen du auch schläfst, an den Tisch. Ich habe keine Kraft mehr, den ganzen Tag mit ihm zu streiten.«
    Sein Vater trollte sich in sein Zimmer, um sich umzuziehen.
    Früher war dies Avrahams Zimmer gewesen. Dann, einige Jahre nachdem er ausgezogen war und klar war,

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