Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst
gesamten Logistik des Frachtverkehrs, des Beladens und Löschens.«
»Auf was für Schiffen arbeiten Sie?«
»In der Regel auf mittelgroßen Frachtschiffen, da ich lange Fahrten nicht mehr mache. Kleine und mittelgroße Feeder.«
»Was ist das?«
»Ach so, Sie haben gefragt, als würden Sie sich auskennen«, entschuldigte sich der Vater. »Das ist eine Kategorie von Containerfrachtern. Nicht das Größte, was es gibt, Schiffe, die zwischen eintausend und dreitausend Standardcontainer tragen.«
Avraham Avraham machte sich Notizen auf einem Blatt Papier wie dem, das er am Mittwochabend benutzt hatte. Diesen Zettel mit der schrecklichen Zeichnung, die er ungewollt hingekritzelt hatte, hatte er am Vortag in seinem Büro und zu Hause in seiner Wohnung gesucht, aber nicht gefunden. Jetzt fragte er: »Ist das nicht ein schwieriger Job? Ich meine, wenn man Familie hat«, und hoffte, in seiner Stimme schwinge kein vorwurfsvoller Ton mit.
»So ist der Beruf nun mal«, erwiderte der Vater.
Ob es sich lohnte zu fragen, wie viel ein Schiffsingenieur verdiente, überlegte er. Fünftausend Schekel? Zehntausend? Dreißigtausend? Er hatte keine Ahnung. Und das war gut so. Er wollte über Dinge reden, von denen er nichts verstand. Seiner Erfahrung nach war das immer ein Schlüssel, der die erste Tür aufsperrte.
»Und wie denkt Ihre Frau darüber?«, fragte er.
Rafael Sharabi antwortete: »Sie hat es eben akzeptiert. Na, was blieb ihr übrig?«
In seiner rundlichen Sanftheit lag trotz allem etwas Hartes. Die Ungehaltenheit eines Menschen, der es nicht gewohnt war, dass man ihm Fragen stellte, auf die er antworten sollte. Die Ungeduld eines Mannes, der normalerweise in trockenem, professionellem Ton Befehle erteilte, auf seinen Schiffen und allem Anschein nach auch zu Hause.
»Und wie haben Sie sich kennengelernt?«
»Hannah war auch bei der Marine. In schwierigeren Zeiten, etwa nach der Geburt der Kinder, habe ich mich bemüht, mehr zu Hause zu sein. Außerdem habe ich bei diesem Job manchmal sogar zwei Wochen am Stück frei.«
War er überrascht, dass sich ihre Unterhaltung vor allem um seine Arbeit und seine Abwesenheiten von zu Hause drehte? Avraham Avraham hatte das Gespräch nicht in diese Richtung gelenkt. Ihm schien, dass der Vater darüber reden wollte.
»Wie alt waren Sie, als Sie geheiratet haben?«, fragte er.
»Wie alt? Ich war sechsundzwanzig und Hannah einundzwanzig.«
Vor seinem geistigen Auge sah er sie bei ihrer Hochzeit. Den Vater konnte er sich ohne weiteres in seinen Zwanzigern vorstellen. Schlanker, die Haltung etwas straffer, aber dennoch rundlich und weich, genau wie heute. Weniger selbstsicher vielleicht. Hannah Sharabi hingegen konnte er sich nicht in ihren Zwanzigern vorstellen. Das musste Anfang der Neunziger gewesen sein. Er fragte: »Aber Ofer wurde erst ein paar Jahre später geboren?«
»Ich war im Praktikum, als wir geheiratet haben«, erklärte der Vater. »Bin die langen Passagen gefahren und war manchmal mehr als einen Monat nicht zu Hause. Also haben wir uns mit dem ersten Kind Zeit gelassen. Nachdem ich das Patent hatte und bei der Linie anfing, beschlossen wir, ein Kind zu bekommen. Ofer ist im Tel-Hashomer-Krankenhaus zur Welt gekommen.«
»Und wie war das für Ofer?«
»Was war wie?«, der Vater sah ihn verdutzt an.
»Dass Sie über längere Zeiträume nicht zu Hause waren.«
Die Hände des Vaters waren groß und behaart. Er legte sie vor sich auf den Tisch und betrachtete sie. »Als er klein war, war es schwer für ihn«, sagte er schließlich. »Einmal bin ich von einer langen Fahrt zurückgekommen, und er hat sich nicht mehr an mich erinnert. Hat felsenfest behauptet, ich sei nicht sein Vater, und hat mich Onkel genannt. Ein paar Tage lang. Als er älter wurde, ging es. Er unterstützt Hannah sehr, wenn ich nicht da bin. Geht kaum aus, hilft im Haushalt. Wir haben immer darauf gewartet, dass er siebzehn wird und seinen Führerschein macht. Hannah fährt ja nicht Auto. Mag sein, dass es nicht leicht für ihn war.«
»Was meinen Sie damit?«
»Kann sein, dass wir ihm zu viel zugemutet haben und er es leid war.« Der Vater stockte einen Moment. Dann fuhr er fort: »Ich bin in einem Elternhaus mit Geldsorgen aufgewachsen und habe sehr früh angefangen zu arbeiten. Mir war immer wichtig, dass meine Kinder in besseren Verhältnissen leben und etwas lernen. Und Ofer lernt brav. Aber wir verlangen auch etwas von ihm. Dass er zu Hause hilft und in der Schule tüchtig ist.
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