Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst
rosafarbener Wollstrumpf. Sie waren geradezu besessen von dieser Tatsache, und ich habe nicht verstanden, warum. Offenbar waren sie überzeugt, der Strumpf würde sie zu dem Mörder führen. Wer weiß, vielleicht ist ja genau das passiert. Ich rufe heute Abend Jean-Marc an, um ihm für seine Gastfreundschaft zu danken, und werde ihn fragen, ob der Strumpf gefunden wurde.«
Sie kehrten zu ihrem Fall zurück. Bevor Ilana die Besprechung beendete, erklärte sie: »Vor allem möchte ich euch alle bitten, euch wieder zu beruhigen. Wie ich schon sagte, es geht hier nicht um persönliche Kritik, und ich möchte nicht, dass irgendwelche Unstimmigkeiten die Ermittlungen belastet. In Ordnung? Wir ziehen keine voreiligen Schlüsse und geben keine Ermittlungsrichtung auf. Wir warten die vollständigen Ergebnisse der Laboruntersuchung ab und prüfen dann, ob sie etwas ergibt, womit sich arbeiten lässt. Außerdem suchen wir weiter nach Zeugen, die gesehen haben, wie der Rucksack in den Container gekommen ist. Eyal, ich möchte, dass du das übernimmst. Avi, du lädst Ofers Eltern zu einer Befragung vor und versuchst, mit Fingerspitzengefühl ihre Versionen abzuklopfen, um zu sehen, ob dir etwas widersprüchlich vorkommt oder nach Verschleierung oder Behinderung der Ermittlungen riecht. Aber zum jetzigen Zeitpunkt möchte ich nicht, dass die Eltern das Gefühl bekommen, wir zweifelten ihre Aussagen an. Geh behutsam vor. Mir ist wichtig, dass du diese weiteren Befragungen durchführst. Ist das für dich in Ordnung? Wenn du möchtest, bleib noch ein paar Minuten, und wir gehen gemeinsam die Vernehmungsstrategie durch. Gibt es noch weitere Richtungen, die wir überprüfen möchten?«
Schärfstein und Maalul schwiegen. Als sie sich schon von ihren Stühlen erheben wollten, sagte Avraham Avraham plötzlich: »Ja. Ich denke, wir sind mit dem Nachbarn noch nicht fertig, dem Englischlehrer. Diesem Seev Avni. Er hat mich am Donnerstag in Brüssel angerufen und kurzfristig um ein Treffen gebeten. Er klang, als stünde er ziemlich unter Druck. Er wollte mir etwas mitteilen, das nichts mit der Ermittlung zu tun hat, bestand aber darauf, nur mit mir zu sprechen. Ich hatte den Eindruck, er will über etwas reden, das er bisher verschwiegen hat.«
»Ich denke auch, das ist eine Richtung, in die sich ein Vorstoß lohnen könnte«, stimmte Maalul zu.
»Ich habe so ein Bauchgefühl, dass er stärker in diese Geschichte verwickelt ist, als er erzählt hat«, bekräftigte Avraham. »Wenn wir über eine Abhöraktion nachdenken, würde ich es vorziehen, ihn anzuzapfen.«
»Dann rede mit ihm, wo ist das Problem? Wann kommt er zur Vernehmung?«, fragte Ilana.
»Ich muss ihn noch anrufen. Am besten bestelle ich ihn gleich für heute aufs Revier, oder zumindest für morgen früh.«
Ilana wirkte wie verwandelt, und Avraham Avraham fragte sich, mit wem sie wohl telefoniert haben mochte.
»Ich sehe keinen Widerspruch darin, sowohl die Eltern wie auch den Nachbarn noch einmal zu vernehmen«, erklärte sie. »Und wir haben ausreichend Abhörausrüstungen, um jeden anzuzapfen, der angezapft werden muss.«
Auf dem Nachhauseweg hielt Avraham beim Revier und holte die Ermittlungsakte aus seinem Büro. Dann fuhr er weiter zur Straße des Gewerkschaftsbundes und parkte in einigem Abstand zum Haus der Sharabis auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Er blieb im Wagen sitzen und wartete.
Ilana hatte sich bemüht, die Besprechung in versöhnlichem Ton zu Ende zu bringen, dennoch wollte er nur noch nach Hause, ein, zwei Stunden schlafen und verdauen, oder vielleicht sogar vergessen, was passiert war, um dann die weitere Vorgehensweise neu zu überdenken. Auf ihr Angebot, gemeinsam zu Mittag zu essen, obwohl es eigentlich noch zu früh dafür war, verzichtete er und blieb, nachdem Maalul und Schärfstein gegangen waren, nur noch etwa zehn Minuten in ihrem Büro.
»Das war wirklich nicht fair, was du eben gemacht hast«, sagte Ilana, nachdem die beiden anderen den Raum verlassen hatten.
Avraham beschloss, nicht zu antworten.
»Du hast versucht, Eyal bloßzustellen, und das hat er nicht verdient. Er arbeitet mit dir in einem Team, nicht gegen dich. Und ich möchte, dass du weißt, der Vorschlag, unsere Vermutungen neu zu überprüfen, kommt von mir, nicht von ihm.«
Er verstand nicht, warum er sich jetzt besser fühlen sollte. Und er verstand auch nicht, warum Ilana, wenn tatsächlich sie die Initiative ergriffen hatte, mit den taktischen Veränderungen
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