Axis
wie ein viktorianischer Kragen umhüllten.
An der Eingangstür stand ein Wachmann, gleich neben einem Schild, das die Besucher aufforderte, jegliche Waffen, elektronische Geräte und sonstige unversiegelte Behälter in Verwahrung zu geben. Nichts Neues für Lise, die Brian vor der Scheidung regelmäßig in den Räumen der Genomischen Sicherheit besucht hatte. In diesem Moment erinnerte sie sich, wie sie als Teenager, in der Zeit, als ihr Vater an der Universität lehrte, häufig am Konsulat vorbeigefahren war – wie mächtig und vertraueneinflößend das Gebäude mit seiner hohen weißen Fassade gewirkt hatte.
Der Wachmann rief Brians Büro an, um sich eine Bestätigung geben zu lassen, und händigte ihr dann eine Besucherkarte aus. Mit dem Fahrstuhl fuhr sie in den vierten Stock – auf halber Höhe des Gebäudes gelegen, ein graues, fensterloses Labyrinth der Bürokratie.
Brian trat in den Flur, als sie näher kam, und hielt ihr die Tür auf, auf der MfGS 507 stand. Brian, fand Lise, war irgendwie unveränderlich: stets sorgfältig gekleidet, rank und schlank, sonnengebräunt – an den Wochenenden wanderte er gern in den Hügeln oberhalb von Port Magellan. Er lächelte kurz zur Begrüßung, doch insgesamt wirkte er heute steif und distanziert – wie eine Art Stirnrunzeln mit dem ganzen Körper, dachte sie. Was immer jetzt kommen mochte, sie versuchte darauf gefasst zu sein.
Brian stand drei Mitarbeitern vor, von denen jedoch keiner anwesend war. »Komm rein«, sagte er. »Setz dich. Wir müssen uns unterhalten. Es ist wohl am besten, wenn wir das so schnell wie möglich hinter uns bringen.«
Selbst in dieser Situation war er unbeirrbar freundlich, eine seiner Eigenschaften, die sie besonders frustrierend fand. Ihre Ehe war von Anfang an nicht gut gelaufen. Nicht unbedingt eine Katastrophe, aber eine Fehlentscheidung, der weitere Fehlentscheidungen gefolgt waren – von denen sie sich manche selbst nicht gern eingestand. Und noch schlimmer war, dass sie sich nicht in der Lage sah, ihre Unzufriedenheit auf eine Weise mitzuteilen, die Brian verstehen könnte. Brian ging jeden Sonntag in die Kirche, Brian glaubte an Anstand und Schicklichkeit, Brian verachtete die Komplexität und Unverständlichkeit der Nachspinwelt. Das war es letzten Endes, was Lise nicht ertragen konnte, das kannte sie schon zur Genüge von ihrer Mutter. Was sie sich stattdessen wünschte, war, was ihr Vater in jenen Nächten, in denen sie die Sterne beobachtet hatten, so leidenschaftlich zu vermitteln versucht hatte: Ehrfurcht oder, wenn schon nicht das, zumindest Courage.
Brian besaß – gelegentlich – Charme, er war ein durch und durch ernsthafter Mensch und auf seine Weise bereit, für das einzustehen, woran er glaubte. Aber er hatte Angst vor dem, was aus der Welt geworden war – und das konnte sie nicht akzeptieren.
Sie nahm Platz. Er zog einen zweiten Stuhl heran und setzte sich ihr gegenüber, sodass sich ihre Knie fast berührten. »Das wird jetzt vielleicht nicht die angenehmste Unterhaltung, die wir je hatten«, sagte er. »Aber sie ist zu deinem Besten, Lise. Bitte behalt das im Hinterkopf.«
Turk dachte noch immer über sein Gespräch mit Tomas nach, als er am Nachmittag am Flugplatz eintraf. Er wollte kurz sein Flugzeug inspizieren, bevor er nach Hause fuhr. Die kleine Skyrex, ein zweimotoriges Propellerflugzeug mit starren Flügeln, war fast fünf Jahre alt und musste weitaus häufiger repariert und gewartet werden als früher. Gerade erst war ein neuer Benzineinspritzer eingebaut worden, und Turk wollte mit eigenen Augen sehen, was die Mechaniker angestellt hatten. Also parkte er auf seinem üblichen Platz hinter dem Frachtgebäude und überquerte ein von Asche und Regen wollgrau gefärbtes Stück Rollfeld, doch als er zum Hangar kam, fand er die Tür mit einem Vorhängeschloss verriegelt. Hinter dem Schloss steckte ein Zettel, der ihn auffordert, bei Mike Arundji vorzusprechen.
Keine Frage, worum es hier ging: Turk war zwei Monatsmieten für den Hangarplatz schuldig und hatte zudem Rückstände bei den Wartungskosten.
Aber er verkehrte freundschaftlich mit Mike Arundji – meistens jedenfalls –, und während er zum Büro des Flughafenbesitzers ging, probte er bereits seine üblichen Entschuldigungen und Begründungen. Es war ein ritueller Tanz: die Forderung, die Entschuldigung, die symbolische Zahlung (obwohl es selbst damit knapp werden würde), ein weiterer Aufschub… Das Vorhängeschloss allerdings war
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