Axis
Ecke.
Die Sonne ging über dem Vorgebirge im Westen unter, im Osten hatte das Meer eine tintenblaue Färbung angenommen, im Norden strebten einige verspätete Fischerboote Richtung Hafen. Die Luft war kühl, eine Brise wehte, die den noch verbliebenen Gestank der Asche wegblies.
Die Asche hatte sich in Garben rund um die Fundamente des Bungalows gesetzt. Das Dach schien der Belastung standgehalten zu haben, sein Unterschlupf war heil geblieben. Allerdings war nicht viel Essbares in den Küchenschränken zu finden. Er musste entweder Dosenbohnen essen oder einkaufen gehen. Oder Geld, das er nicht besaß, in einem Restaurant ausgeben, das er sich nicht leisten konnte.
Hab mein Flugzeug verloren, dachte er. Nein, eigentlich nicht, jedenfalls noch nicht; das Flugzeug war ihm lediglich entzogen worden, es war noch nicht verkauft. Auf seinem Bankkonto jedoch gab es nichts, was ihm als überzeugendes Gegenargument hätte dienen können, und so ging ihm dieses kleine Mantra durch den Kopf, seit er Mike Arundjis Büro verlassen hatte: Hab mein Flugzeug verloren.
Er hätte gern mit Lise gesprochen, aber er wollte seine Probleme nicht bei ihr abladen. Es kam ihm immer noch unwahrscheinlich vor, dass er mit ihr zusammen war. Ihre Beziehung war etwas, das ein wohlwollendes Schicksal ihm in den Schoß hatte fallen lassen. Dieses Schicksal hatte ihm in der Vergangenheit schon den einen oder anderen Gefallen getan, und doch war er sich nicht sicher, ob er ihm trauen konnte.
Maismehl, Kaffee, Bier…
Er beschloss, noch einmal Tomas anzurufen; vielleicht hatte er ihm nicht gut genug erklärt, was er eigentlich wollte. Es gab nicht viel, was er für Lise tun konnte, aber er konnte ihr immerhin helfen zu verstehen, warum ihr Vater zum Vierten geworden war – denn das war es wohl, vermutete Turk, was geschehen war. Und wenn es jemanden gab, der ihr das erklären – oder jedenfalls in eine halbwegs plausible Perspektive rücken – konnte, dann Tomas und, falls sein Freund ein gutes Wort für ihn einlegte, Ibu Diane, die Krankenschwester und Vierte, die bei den Minang lebte.
Er wählte Tomas’ Nummer.
Niemand ging ran, und auch die Mailbox schaltete sich nicht ein. Was merkwürdig war, denn Tomas trug sein Telefon immer bei sich. Es war vermutlich sein wertvollster Besitz.
Turk überlegte, was er nun tun sollte. Er konnte sich seine Bücher und Kontoauszüge vornehmen und irgendeine finanzielle Regelung mit Mike Arundji improvisieren. Oder er konnte in die Stadt zurückfahren, Lise besuchen, falls sie ihn noch sehen wollte – vielleicht auf dem Weg bei Tomas vorbeischauen. Das Vernünftigste, dachte er, wäre wohl, zu Hause zu bleiben und sich um die Geschäfte zu kümmern.
Wenn es denn Geschäfte geben würde, um die er sich kümmern könnte.
Er löschte die Lichter und verließ das Haus.
Als Lise vom Konsulat wegfuhr, fühlte sie sich wie verbrüht. Ja, das war genau das passende Wort: verbrüht. In heißes Wasser getaucht, abgekocht. Sie fuhr über eine Stunde lang ziellos durch die Gegend, bis der Wagen die Dämmerung registrierte und die Scheinwerfer einschaltete. Der Himmel hatte sich tiefrot verfärbt, es war einer jener langen äquatorianischen Sonnenuntergänge, und er erhielt durch die noch immer in der Luft hängende feine Asche eine besonders bunte Note. Sie fuhr durch das arabische Viertel, vorbei an Souks und Kaffeehäusern unter gescheckten Markisen und farbigen Lichterketten, vor denen die Menschen sich drängten, als wollten sie nachholen, was während des Ascheregens versäumt worden war. Dann hinauf in die bessere Gegend, wo reiche Männer und Frauen aus Peking, Tokio, London oder New York sich mediterran angehauchte Paläste in Pastellfarben bauten. Mit Verspätung erst bemerkte sie, dass sie durch jene Straße fuhr, in der sie als Teenager vier Jahre lang mit ihren Eltern gewohnt hatte.
Und dort stand das Haus, in dem sie gelebt hatten, damals, als die Familie noch ganz war. Langsam fuhr sie daran vorbei. Das Haus war kleiner, als sie es in Erinnerung hatte, und offensichtlich kleiner als die Möchtegernpaläste, die ringsum entstanden waren – ein Stoffmantel inmitten von Pelzen. Sie mochte gar nicht daran denken, wie viel Miete man heutzutage dafür zahlen musste. Die weiß gestrichene Veranda war in Schatten getaucht, fremde Leute hatten sich im Haus eingerichtet.
»Hier werden wir eine Weile lang wohnen«, hatte ihre Mutter gesagt, als sie von Kalifornien hierhergezogen waren. Aber für Lise
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