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Axis

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Titel: Axis Kostenlos Bücher Online Lesen
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für den Gütigsten ihrer Betreuer hielt, den Astronomielehrer, der Lochis hieß. Als dieser ihre unter Tränen hervorgestoßene Mitteilung endlich verstand, trommelte er umgehend einen Suchtrupp zusammen.
    Eine Gruppe von fünf Männern und drei Frauen, alle mit den Tücken und der Geografie der Wüste vertraut, verließ die Station im Morgengrauen. Sie fuhren in einem Wagen, der von einer der wenigen großen Maschinen gezogen wurde, die die Station besaß – große Maschinen waren auf dem ressourcenarmen Planeten ein Luxusartikel –, und Sulean durfte mitkommen, um ihnen zu zeigen, wo sie Esh zuletzt gesehen hatte. Und um ihn zu überreden, zur Station zurückzukehren, so sie ihn denn finden sollten.
    Aus der nächstgelegenen Stadt waren Erkundungsdrohnen und ähnliche Gerätschaften angefordert worden, doch die würden erst am folgenden Tag eintreffen. Bis dahin, so Lochis, wollte man sich mit der eigenen Sehkraft und Intuition behelfen. Zum Glück hatte Esh seine Spuren nicht verwischen können – und es war offensichtlich, dass er dem zustrebte, wo der Ab-ashken- Niederschlag am konzentriertesten war.
    Und tatsächlich: Als die Expedition einige Hügel überquerte, die in das Becken der südlichen Wüste abfielen, erblickte Sulean eine Reihe vertrockneter, in Zersetzung befindlicher… Dinge. Das war das einzige Wort, das ihr dafür einfiel. Eine Röhre mit weiter Öffnung, gelblich weiß und doppelt so groß wie ein Mensch, erhob sich über einem Haufen von Kugeln, Pyramiden und gesprungenen Spiegeln. All diese Dinge waren aus dem steinigen Wüstenboden gewachsen und wieder abgestorben. Oder beinahe abgestorben. Einige faserige Ranken, riesigen Vogelfedern ähnlich, regten sich matt inmitten dieses surrealistischen Ensembles. Vielleicht war es aber auch der Wind, der sie bewegte.
    Der Blick in Eshs veränderte Augen war Suleans erste Konfrontation mit den Hypothetischen gewesen. Dies war die zweite. Trotz der Hitze fröstelte es sie, schutzsuchend drängte sie sich an Lochis’ massigen Körper.
    »Hab keine Angst«, sagte er. »Hier ist nichts Gefährliches.«
    Sie hatte gar keine Angst. Es war ein anderes Gefühl, das von ihr Besitz ergriffen hatte: Faszination, Schrecken, eine schwindelerregende Kombination aus beidem. Vor ihr lagen Überreste der Ab-ashken, Fragmente von Wesen, die ganze Sterne überwuchert hatten, Knochen und Sehnen aus dem Leib eines Gottes.
    »Es ist, als könnte ich sie fühlen«, flüsterte sie.
    Oder vielleicht war, was sie fühlte, ihre Zukunft – die ihr entgegenrauschte wie das Wasser eines über die Ufer tretenden Flusses.
     
    »Noch einmal, Ms. Moi«, sagte Dr. Dvali. »Wie ist der Junge gestorben?«
    Sulean ließ einige Augenblick verstreichen. Es war spät. Alles war ruhig. Sie glaubte, den Wüstenwind hören zu können.
    »Vermutlich war er zu erschöpft, um weitergehen zu können. Wir fanden ihn schließlich in einer kleinen Senke. Er lag dort, atmete kaum. Um ihn herum…« Sie hasste dieses Bild. Ihr ganzes Leben lang hatte es sie verfolgt.
    »Ja?«
    »Um ihn herum waren Dinge gewachsen. Er war umgeben von einem kleinen Wald aus Überresten der Hypothetischen. Spitze, gefährlich aussehende Dinge, Speere aus einem spröden grünen Material, offensichtlich nicht vollständig, aber dennoch beweglich – lebendig, wenn Sie so wollen.«
    »Und diese Dinge hatten ihn… umzingelt?«
    »Vielleicht war er auch mit Absicht zu ihnen gegangen. Einige von ihnen hatten ihn… durchbohrt. Hier.« Sulean berührte ihre Rippen, ihren Unterleib.
    »Und getötet?«
    »Er war noch bei Bewusstsein, als wir ihn fanden.«
     
    Sulean riss sich von Lochis los und lief auf Esh zu. Sie achtete nicht auf die entsetzten Stimmen, die sie zurückrufen wollten.
    Denn das hier war ihre Schuld. Sie hätte Esh niemals helfen dürfen, aus der Station zu entkommen. So unglücklich er auch gewesen war, dort war er immerhin sicher.
    Sie empfand keine besondere Furcht vor den Ab-ashken- Gewächsen, die um den Körper des Jungen herumstanden wie ein Ring aus angespitzten Zaunpfählen. Sie konnte sie riechen – ein chemischer Geruch, schwefelig, streng. Die Gewächse waren nicht gesund, waren von Rissen durchzogen und an einigen Stellen von etwas Rostähnlichem verfärbt. Ihre Stängel schaukelten leicht, so als würden sie Suleans Anwesenheit wahrnehmen. Vielleicht taten sie das auch.
    Auf jeden Fall nahmen sie Esh wahr. Die höchsten von ihnen hatten sich zu Halbkreisen gebogen und den Jungen mit ihren

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