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Axis

Axis

Titel: Axis Kostenlos Bücher Online Lesen
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Noch nicht. Sie wartete auf Turk, der in einer Staubwolke herangestürmt kam. Als er im Zimmer war, schloss sie die Tür und sah sich dann panisch nach dem Wesen um. Sie musste an den Sommer denken, als sie mit ihren Eltern Urlaub in einer Hütte in den Adirondacks gemacht hatte: Eines Nachts war eine Fledermaus durch den Schornstein gekommen und war wild flatternd durch die Dunkelheit gestoben. Sie erinnerte sich an die Angst, dass sich jeden Moment etwas Heißes, Lebendiges in ihren Haaren verfangen könnte…
    Aber das Flatterding war bereits gelandet.
    Es hatte sich auf Isaacs Gesicht niedergelassen.
    Die Vierten standen um das Bett herum, auf dem der Junge lag. Das Wesen – oder wie immer man es nennen sollte – saß auf seiner linken Wange wie ein pulsierender roter Breiumschlag. Eine Ecke bedeckte die Schläfe, eine andere Hals und Schulter. Mund und Nase blieben frei, allerdings hatte sich das Ding an Isaacs Unterlippe geheftet. Sein linkes Auge war verschwommen zu erkennen, das andere hatte er weit aufgerissen.
    Anna Rebka streckte die Hand nach dem Wesen aus, doch Dvali hielt sie fest. »Nicht anfassen«, sagte er.
    »Wir müssen es von ihm wegkriegen!«
    »Ja. Wir brauchen etwas, womit wir es berühren können. Handschuhe, einen Stock, ein Blatt Papier…«
    Turk riss den Bezug von einem Kissen und wickelte ihn sich um die rechte Hand.
    Seltsam, dachte Lise, wie das Ding ihn draußen ignoriert hatte, wie es sie und die anderen Erwachsen, allesamt leichte Angriffsziele, ignoriert hatte, nur um auf Isaac zu landen. Hatte das etwas zu bedeuten? Was immer das fliegende Ding war – und Lise hatte keinen Zweifel, dass es der Asche entsprungen war, wie die Augenblume, wie die anderen Objekte, von denen in den Meldungen aus Port Magellan die Rede war –, konnte es sein, dass es sich Isaac ausgesucht hatte? – Die anderen traten zurück, als Turk mit der umwickelten Hand nach dem Wesen griff. Doch dann geschah etwas Seltsames.
    Das Wesen verschwand.
     
    »Was zum Henker«, rief Turk.
    Nach Luft schnappend, setzte sich Isaac plötzlich auf und hob eine Hand ans Gesicht.
    Lise rieb sich die Augen. Das Flatterding hatte sich aufgelöst – so jedenfalls hatte es ausgesehen. Es hatte sich in Flüssigkeit verwandelt und war augenblicklich verdunstet. Nein – es war versickert, wie eine Wasserpfütze in poröser Erde. Nicht einmal eine Spur von Feuchtigkeit hatte es hinterlassen. Als wäre es direkt in Isaacs Gesicht übergegangen.
    Anna Rebka legte sich neben den Jungen und hielt ihn umschlungen. Isaac, noch immer atemlos, schmiegte sich an sie, vergrub den Kopf an ihrer Schulter. Er begann zu schluchzen.
    Lise griff nach Turks Hand. Sie war verschwitzt und staubig, aber unendlich beruhigend. Sie hatte nicht die geringste Vorstellung, was da eben geschehen war, sie wusste nur, was jetzt geschah: Ein zutiefst erschrockenes Kind wurde von seiner Mutter getröstet. Zum ersten Mal begann Lise in Anna Rebka mehr zu sehen als eine merkwürdige, emotional distanzierte Vierte. Für Anna Rebka war Isaac kein biologisches Experiment – er war ihr Sohn.
    »Was zum Henker«, wiederholte Turk. »Ist mit dem Jungen alles in Ordnung?«
    Das mussten sie abwarten. Sulean und Diane zogen sich in die Küchenecke des Motelzimmers zurück und besprachen etwas, während Dvali Isaac aus sorgsam gewahrter Distanz beobachtete. Allmählich wurde die Atmung des Jungen regelmäßiger. Schließlich löste er sich von seiner Mutter und sah sich um. Seine goldgesprenkelten Augen waren groß und feucht.
    »Lassen Sie mich ihn untersuchen«, sagte Diane.
    Sie war unter ihnen diejenige mit der größten medizinischen Erfahrung, also ließ Anna Rebka es zu, dass Diane sich neben den Jungen setzte, ihm den Puls maß, die Brust abklopfte – all dies eher, wie Lise vermutete, um ihn zu beruhigen, als um eine Diagnose zu stellen. Dann betrachtete die alte Frau eingehend seine linke Wange, wo das fremde Wesen ihn berührt hatte, doch es war kein Ausschlag, keinerlei Hautreizung zu erkennen. Zuletzt sah sie noch in Isaacs Augen – diese merkwürdigen Augen.
    »Sind Sie ein Arzt?«, fragte der Junge mit belegter Stimme.
    »Nur eine Krankenschwester. Du kannst Diane zu mir sagen.«
    »Ist alles in Ordnung mit mir, Diane?«
    »Ich habe den Eindruck, dass es dir ganz gut geht.«
    »Was ist geschehen?«
    »Das weiß ich nicht. Im Moment passieren viele seltsame Dinge. Das war eines davon. Wie fühlst du dich?«
    Isaac zögerte, als müsse er erst darüber

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