Ayesha - Sie kehrt zurück
verwirklichen. Bald, Leo, sehr bald!«
Leo starrte auf das glänzende Metall und stöhnte. Ich glaubte nicht, daß es Gold war, und noch weniger, daß sie dieses Metall selbst herstellen konnte. Sie las meine Gedanken und meine Zweifel und wurde, mit dem plötzlichen Stimmungswechsel, den sie oft zeigte, sehr wütend.
»Bei allen Geistern der Natur!« rief sie. »Wenn du nicht mein Freund wärst, der Narr, den ich gernzuhaben beliebe, würde ich deine rechte Hand in die Strahlung fesseln, bis deine alten Knochen zu Gold geworden sind. Aber was soll ich mich über dich ärgern, der sowohl blind als auch taub ist? Trotzdem werde ich mir die Mühe machen, dich zu überzeugen.« Sie verließ die Felsenkammer, ging den Korridor entlang und rief den Priestern, die im Laboratorium arbeiteten, etwas zu. Dann kam sie zu uns zurück.
Kurz darauf traten auch die beiden Priester herein. Sie trugen eine Art Bahre, auf der ein Stück Eisen lag, das so schwer schien, daß sie es kaum heben konnten.
»So«, sagte Ayesha. »Wie willst du diesen Klumpen kennzeichnen, der, wie du zugeben mußt, lediglich Eisen ist?« Auf ihren Befehl hin schlugen die beiden Priester mit Hammer und Meißel eine grobe Darstellung des Lebenssymbols in das Eisenstück.
»Das reicht nicht«, sagte Ayesha, als sie damit fertig waren. »Holly, gib mir dein Jagdmesser! Morgen sollst du es zurückbekommen, aber dann wird es erheblich wertvoller sein.«
Ich zog das Messer aus der Scheide, eine in Indien gefertigte Waffe mit einem Eisenheft, und gab es ihr.
»Du kennst seine Markierungen«, sagte sie und deutete auf die Schrammen und Dellen und auf den eingeschlagenen Namen des Herstellers auf der Klinge, denn obwohl das Messer eine indische Arbeit war, stammte die Klinge aus Sheffield.
Ich nickte. Dann befahl sie den beiden Priestern, die strahlensicheren Anzüge anzulegen, die wir getragen hatten, und wies uns an, den Raum zu verlassen und uns im Korridor mit dem Gesicht zum Boden hinzulegen.
Dies taten wir und blieben so liegen, bis sie uns, etwa fünf Minuten später, wieder rief. Wir standen auf und traten wieder in die Kammer, wo die Priester, die ihre Schutzanzüge bereits abgelegt hatten und ihre tränenden Augen mit Salbe behandelten. Das Stück Eisen und auch mein Messer waren verschwunden, stellte ich fest. Nun befahl Ayesha den beiden Priestern, den Goldklumpen auf ihre Bahre zu legen und mitzunehmen. Sie gehorchten, und ich sah, daß sie, obwohl sie kräftige Männer waren, unter dem Gewicht fast zusammenbrachen.
»Wie kommt es«, fragte Leo, »daß du, eine Frau, etwas tragen kannst, was zwei Männern zu schwer ist?«
»Das ist eine der Eigenschaften jener Kraft, die du Licht nennst«, sagte sie lächelnd, »daß sie alles, was ihr ausgesetzt wird, für eine kurze Zeitspanne so leicht wie eine Feder macht. Wie hätte ich sonst, die ich so zart bin, jenen Goldblock tragen können?«
»Ich verstehe«, sagte Leo.
Das war das Ende. Der Metallklumpen, von dem Ayesha behauptete, daß er aus Gold sei, wurde in einen Schacht gelegt, der mit einem Eisendeckel verschlossen war, und dann gingen wir in Ayeshas Gemächer zurück.
»Also kannst du dir auch allen Reichtum dieser Erde verschaffen«, stellte Leo fest, da ich angesichts ihrer Drohung nicht mehr den Mund zu öffnen wagte.
»Es scheint so«, antwortete sie müde, »seit ich vor einigen Jahrhunderten das große Geheimnis entdeckte; doch bis zu deinem Kommen habe ich keinen Gebrauch davon gemacht. Holly glaubt natürlich, wie immer, daß es sich dabei um Magie handelt, aber ich will dir noch einmal versichern, daß es keine Magie ist, sondern Wissen, das ich mir aneignen konnte.«
»Natürlich«, sagte Leo, »wenn man es richtig betrachtet, das heißt, von deinem Gesichtspunkt aus, ist es sehr einfach.« Ich hatte das Gefühl, daß er am liebsten hinzugesetzt hätte: ›so einfach wie lügen‹, es jedoch unterließ, da diese Worte eine Erklärung notwendig gemacht hätten. »Aber, Ayesha«, fuhr er fort, »hast du auch daran gedacht, daß deine Entdeckung die ganze Welt ruinieren wird?«
»Leo«, antwortete sie, »gibt es denn nichts, was ich tue, das die Welt nicht ruiniert, diese Welt, die dir so sehr am Herzen zu liegen scheint, obwohl dein Herz nur mir gehören sollte?«
Ich lächelte, doch da ich befürchtete, daß mein Lächeln sie verärgern könnte, veränderte ich es zu einem Stirnrunzeln und blickte Leo an; schließlich, weil ich nicht wußte, ob sie nicht auch das
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