Ayesha - Sie kehrt zurück
Amenartas wiedergeboren?«
Ich nickte. »Warum nicht? Wie ich dir immer wieder gesagt habe, bin ich mir immer einer Sache sicher gewesen: wenn man uns erlaubt, den nächsten Akt des Stückes zu sehen, werden wir Amenartas finden, oder besser gesagt, den Geist von Amenartas, der eine führende Rolle darin spielt.
Und wenn der alte buddhistische Mönch Kou-en sich an seine Vergangenheit erinnern kann, wie abertausende seiner Glaubensbrüder, und sich seiner aus der Vergangenheit fortgeführten Identität sicher ist, warum sollte nicht auch diese Frau, für die so viel auf dem Spiel steht, unter Mithilfe des Schamanen, ihres Onkels, vage Erinnerungen an die ihre haben?
Auf jeden Fall, Leo, warum sollte sie nicht noch immer so weit unter ihrem Einfluß stehen, daß sie, ohne es zu wollen, auf den ersten Blick dem Mann verfällt, den sie immer geliebt hat?«
»Deine Theorie klingt sehr überzeugend, Horace, und wenn sie richtig sein sollte, fühle ich großes Mitleid mit der Khania, der hier jeder freie Wille genommen und der ihr Handeln aufgezwungen wurde.«
»Ja, aber du sitzt wieder in der Falle. Sei auf der Hut, Leo! Sei auf der Hut! Ich glaube, daß dies eine Prüfung ist, die dir bestimmt wurde, und zweifellos werden noch weitere folgen. Und ich glaube auch, daß es für dich besser wäre, zu sterben, als einen Fehler zu begehen.«
»Das weiß ich nur zu gut«, antwortete er, »und du brauchst keine Angst zu haben. Was immer diese Khania mir in der Vergangenheit gewesen sein mag – falls sie mir überhaupt etwas bedeutet haben sollte – so ist das vorbei und erledigt. Ich suche Ayesha, und nur Ayesha, und Venus selbst könnte mich nicht davon abbringen.«
Dann begannen wir mit Hoffnung und Furcht von der mysteriösen Hesea zu sprechen, die den Brief vom Berg geschrieben hatte, in dem sie dem Schamanen Simbri befohlen hatte, uns zu erwarten. Die Priesterin – oder der Geist – besäße ›von alters her eine Macht‹ und habe ›Diener in der Erde und in der Luft‹.
Eine Weile später scharrte der Bug unseres Bootes auf das Flußufer, und als ich aufblickte, sah ich, daß der Schamane sein Boot verlassen hatte und auf das unsere zukam. Er stieg ein, setzte sich uns gegenüber und erklärte, daß es bald Nacht werde und er uns in der Dunkelheit Gesellschaft leisten wolle.
»Und aufpassen, daß wir ihn nicht im Dunkeln abhängen«, murmelte Leo.
Die Sklaven trieben die Ponies wieder an, und wir fuhren weiter.
»Blickt voraus«, sagte Simbri nach einer Weile, »dann seht ihr die Stadt, in der ihr heute nacht schlafen werdet.«
Wir wandten uns um und sahen, etwa zehn Meilen entfernt, eine recht beachtliche Stadt. Ihre Häuser hatten flache Dächer, und sie lag auf einer Art Tafelberg von etwa hundert Fuß Höhe, der den Fluß in zwei Arme teilte und dadurch zur Insel wurde.
Der flache Hügel machte den Eindruck, als ob er künstlich aufgeschüttet worden sei doch wahrscheinlich war der Boden, aus dem er bestand, im Lauf der Jahrtausende vom Fluß ausgewaschen worden, bis er von einer Schlamminsel zu seiner jetzigen Größe angewachsen war. Mit Ausnahme eines mit Säulen und Türmen geschmückten Gebäudes im Zentrum der Stadt konnten wir keine größeren Bauten erkennen.
»Wie heißt diese Stadt?« fragte Leo den Schamanen.
»Kaloon«, antwortete er, »wie das ganze Land, schon lange bevor meine Vorfahren, die Eroberer, vor zweitausend Jahren über die Berge kamen und es in Besitz nahmen. Dem Land haben sie einen alten Namen belassen, doch den Berg nannten sie Hes, weil sie behaupteten, der Ring auf seinem Gipfel sei das Symbol einer Göttin dieses Namens, die ihr General verehrte.«
»Es leben immer noch Priesterinnen dort, nicht wahr?« sagte Leo.
»Ja, und auch Priester. Der Tempel wurde von den Eroberern erbaut, die das ganze Land in Besitz nahmen. Oder richtiger, er wurde aus den Resten eines anderen Tempels erbaut, dessen Gott das Feuer des Berges war, das auch heute wieder der Gott des Volkes von Kaloon ist.«
»Und wer wird heute dort oben verehrt?«
»Die Göttin Hes, behauptet man. Aber wir wissen nur wenig über diese Dinge, denn zwischen uns und dem Volk des Berges besteht seit Urzeiten Fehde. Sie töten uns, und wir töten sie, denn sie hüten voller Eifersucht ihren Schrein, den niemand besuchen darf, es sei denn, er habe die Genehmigung erhalten, das Orakel zu konsultieren, oder in Notzeiten Gebete der Opfer darzubringen, zum Beispiel, wenn ein Khan gestorben ist, oder wenn das
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