Ayesha - Sie kehrt zurück
auf unserer Seite, sondern auf dem Westufer des Flusses und raste an uns vorbei auf die Stadt zu. In dieser Sekunde wandte der Mann sich im Sattel um, so daß wir im Licht des Mondes sein Gesicht sahen; es war von Todesangst verzerrt.
Er war aus dem Dunkel aufgetaucht und verschwand wieder im Dunkel. Doch ihm folgten jene, die die furchtbare Musik machten: ein Hund erschien auf dem Treidelweg des anderen Ufers, ein riesiger, roter Hund. Er senkte im Laufen seine schaumtriefende Schnauze zu Boden, hob den Kopf und stieß ein lautes, knurrendes Heulen aus. Ihm folgten weitere Hunde, und noch mehr Hunde, es müssen über hundert gewesen sein, und sie begannen alle zu heulen, als sie die Witterung des Flüchtenden aufnahmen.
»Die Hunde des Todes«, murmelte ich und umklammerte Leos Arm.
»Ja«, antwortete er. »Sie hetzen jenen armen Teufel. Und hier kommt der Jäger.«
Als er das sagte, tauchte auf dem Treidelpfad des anderen Ufers ein zweiter Reiter auf. Er saß auf einem herrlichen Rappen, und ein Cape wehte hinter ihm her. In seiner Hand hielt er eine lange Peitsche, die er über dem Kopf schwang. Während er vorbeigaloppierte, wandte auch er sich um, so daß wir sein Gesicht sehen konnten, und wir erkannten den Wahnsinn in seinen Zügen. Wahnsinn tönte auch aus seinem wilden, grellen Lachen.
»Der Khan! Der Khan!« keuchte Simbri und verneigte sich tief, und ich sah, daß er Angst hatte.
Jetzt war auch er vorbei und ihm folgte seine Eskorte. Ich zählte acht Männer, alle mit langen Peitschen in den Händen.
»Was hat das zu bedeuten, Freund Simbri?« fragte ich, während die Geräusche in der Ferne verklangen.
»Es bedeutet, Freund Holly«, antwortete er, »daß der Khan auf seine Weise Gerechtigkeit übt – er hetzt jemanden, der seinen Zorn erregt hat, zu Tode.«
»Was hat denn dieser arme Kerl verbrochen? Und wer ist er?«
»Er ist ein großer Lord in diesem Land, von königlichem Geblüt, und das Verbrechen, dessentwegen er zum Tode verurteilt wurde, ist, daß er der Khania seine Liebe gestanden und ihr angeboten hat, Krieg gegen ihren Mann zu führen und ihn zu töten, wenn sie ihn heiraten würde. Doch die Khania haßte diesen Mann, so wie sie alle Männer haßt, und berichtete dem Khan von seinem Angebot. Das ist alles.«
»Glücklich der Fürst, der ein so tugendhaftes Weib hat«, konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen, und bei dieser Bemerkung sah mich der alte Schamane nachdenklich an und strich seinen schütteren Bart.
Wenig später hörten wir abermals das Heulen der Hunde des Todes. Doch diesmal waren sie auf unserer Seite des Flusses und kamen über die Felder direkt auf uns zu. Wieder tauchten das weiße Pferd und sein Reiter auf, beide völlig ausgepumpt. Das arme Tier konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, als es den Treidelpfad erreichte. In diesem Moment wurde es von einem der riesigen, roten Hunde angesprungen. Als das Tier die scharfen Fänge in seiner Flanke spürte, schrie es auf, wie nur ein Pferd schreien kann. Der Reiter sprang aus dem Sattel und lief, zu unserem Entsetzen, auf das Ufer zu, offensichtlich bestrebt, in unserem Boot Zuflucht zu suchen. Doch bevor er das Wasser erreichte, fielen die Hunde über ihn her.
Die nun folgende Szene will ich nicht beschreiben, doch niemals werde ich vergessen, wie diese teuflischen Wölfe Roß und Reiter vor unseren Augen zerrissen, während der wahnsinnige Khan gellende Freudenschreie ausstieß und die Hunde des Todes anfeuerte, ihr blutiges Werk zu vollenden.
9
Der Hof zu Kaloon
Erschüttert, elend vor Entsetzen, fuhren wir auf die Stadt zu. Kein Wunder, daß die Khania diesen Despoten haßte. Und sie liebte Leo, und der irrsinnige Khan war so krankhaft eifersüchtig, daß er Nebenbuhler auf die Art beseitigte, die wir eben miterlebt hatten. Wirklich herrliche Aussichten für uns alle! Und doch, überlegte ich, hatte diese entsetzliche Szene einen gewissen Wert als Abschreckungsmittel.
Wir erreichten nun die Stelle, an der sich der Fluß vor der Stadt-Insel teilte und legten an einem Kai an. Hier wurden wir von einer Gruppe von Soldaten unter dem Kommando eines Palastoffiziers erwartet. Sie führten uns durch ein Tor in der hohen Mauer, mit der die Stadt umgeben war, und eine enge Straße entlang. Die Häuser zu beiden Seiten der Straße waren von dem in Zentralasien üblichen Typ, und, so weit ich das bei Mondlicht erkennen konnte, ohne jede Ambition auf architektonische Schönheit.
Offensichtlich war
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