Azrael
Atem. »In deinen Knochen, Terry?«, fragte er ungläubig und schaffte es, grenzenlose Geduld zu bekunden, indem er darauf verzichtete, seine Stimme zu erheben. »Tatsächlich?«
»Also … ich bin ja schon sehr alt. Und spüren es alte Leute nicht in den Knochen, wenn was los ist?«
»Alte Menschen, Terry.« Zum ersten Mal ergriff der dritte Mann das Wort. Mit sanfter Stimme lenkte er die Blicke seiner beiden Gefährten auf sich. »Alte Vampire … weniger.« Achselzuckend schüttelte er den Kopf, als sollte man seinen Worten keine allzu große Bedeutung beimessen, und strich sich das Sportjackett glatt. Als hispanischer Gentleman in mittleren Jahren war er untadelig gekleidet, vom frisch gebügelten beigen Hemd mit aufgeknöpftem Kragen über das braune Jackett und die braune Hose bis zu den braunen Halbschuhen. Sein Name lautete Casper Monte Vega. Aber seine Kameraden nannten ihn seit Jahrzehnten Monte.
Diese drei hatte Azrael aus verschiedenen sorgfältig erwogenen Gründen zu Vampiren gemacht. Randall McFarlan war 1584 in Irland auf dem Schlachtfeld tödlich verwundet worden und Az begegnet – nicht der Erste, den der ehemalige Todesengel zum Leben erweckt hatte, und nicht der Letzte, aber einer der Vertrauenswürdigsten. Gelegentlich arbeitete er per Funk mit Michael zusammen. Und er stand den vier Brüdern näher als die meisten Vampire. Zufällig lebte er gerade in San Francisco, und er hatte soeben seine zweite zehnjährige Amtszeit als Nachtschicht-Polizist im Marin County beendet. Bei seinen beruflichen Aktivitäten musste er auf Zeiträume und Regionen achten, damit er nicht entlarvt wurde, hatte aber immer Mittel und Wege gefunden, im Polizeidienst zu stehen.
Terrence Colby, oder Terry, 1850 in Tennessee geboren, hatte sich 1875 den Texas Rangers angeschlossen und unter Randall gedient. Der mochte ihn sehr gern und sah in ihm den Sohn, den ihm das Schicksal nie vergönnt hatte. Nach nur dreimonatiger Dienstzeit war Terry von dem Outlaw John Wesley Hardin niedergeschossen worden, und Randall hatte Azrael zu Hilfe gerufen.
Als Vampir besaß Randy die Fähigkeit, selbst neue Artgenossen zu erschaffen, hatte das aber noch nie getan und war sich nicht sicher gewesen, wie er vorgehen sollte. Az war dem Ruf gefolgt. Bevor das Herz des jungen Mannes zum letzten Mal geschlagen hatte, war er am Leben erhalten worden.
Seither waren die beiden Vampire stets zusammengeblieben. Terrys jugendliche Energie tat Randy gut. Und Randys Weisheit schützte Terry vor diversen Schwierigkeiten.
Casper Monte Vega war noch jünger als Terry, was man seinem Verhalten aber nicht anmerkte. Als erfolgreicher Schriftsteller hatte er in New York gelebt, wo er am frühen Morgen des 22. Februar 1959 auf das vereiste Fenstersims seines Apartments in der einunddreißigsten Etage geklettert war.
Seit seiner Kindheit hatte er an einer Zwangsneurose gelitten. Unglaublich sensibel, nahm er Dinge wahr, die andere Menschen nicht bemerkten. Aber er war unfähig, all die Stimulanzien ringsum, die Eindrücke, die seine Sinne reizten, auszuschalten. Obwohl ihm das half, Bestseller zu schreiben und ein Vermögen zu verdienen, fühlte er sich elend. Und schließlich war er nervlich völlig am Ende gewesen.
Niemals würde er vergessen, wie Azrael neben ihm auf dem eisigen Fenstersims gelandet war und ihm kalte Angst eingejagt hatte. Vor lauter Entsetzen wäre Casper beinahe ausgerutscht und so oder so hinabgestürzt – wozu Az es natürlich nicht hätte kommen lassen.
Azrael wusste, dass der Mann nicht sterben wollte, aber sein Leid nicht länger ertrug. Und so erklärte er Casper, es gebe eine andere Möglichkeit. Vampire würden nicht an Neurosen leiden. Vielleicht sei das ein Silberstreif am Horizont ihrer seltsamen finsteren Existenz. Ein leises Gespräch zwischen zwei unglückseligen Männern auf dem Fenstersims eines Apartmentgebäudes mitten im New Yorker Winter – und dann war Casper Monte Vega in einen Vampir verwandelt worden.
Ein paar Jahre später hatte er Randall McFarlan und Terrence Colby in San Francisco kennengelernt und sich schon bald mit ihnen angefreundet.
Nun wandte Randall sich beunruhigt an Az. »In gewisser Weise hat Terry recht, nicht wahr? Auch ich spüre seit Kurzem etwas Sonderbares in der Luft.«
Azrael nickte. Sicher, die Adarianer brachten einiges durcheinander und änderten die Regeln, aber da war noch etwas anderes. Az fand es merkwürdig, dass innerhalb weniger Monate drei Sternenengel aufgetaucht
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