Azrael
Brustmuskulatur nachzeichnete. Sein Halsansatz gefiel ihr besonders gut.
Er hörte ihren beschleunigten Herzschlag. Wie scharf sie auf ihn war, sah er in ihren verschleierten Augen. Als könnte sie ihm verheimlichen, dass ihr Mund wässerig wurde, grub sie zwei schneeweiße Zähne in ihre Unterlippe. Dieser volle Mund fesselte seinen Blick. Hastig schob er seine Hände, die sich ballten, in die Manteltaschen. Seine Fingernägel schnitten in die Handflächen, und er malte sich aus, Sophies Zähne würden ihrer Unterlippe Blut entlocken.
Wenn das geschah … war alles vorbei.
»Juliette hat erwähnt, Sie würden in Pittsburgh leben«, bemerkte er, um ihre und seine eigene Anspannung zu mindern. »Das hatte ich vergessen.« Seine Stimme klang sanft und vertraulich, und er spürte, wie sie sich fühlte. Als wäre sie allein mit ihm im Stadion.
»Vorerst.« Sie wollte ihm nicht mitteilen, sie würde nur noch zwei Tage in dieser Stadt bleiben. Was er ohnehin wusste. »Und was machen Sie hier?«, fragte sie, von echter Neugier erfasst. Für sie war es ein verdächtiger Zufall, ihn innerhalb einer Woche zweimal zu sehen, auf verschiedenen Kontinenten, nachdem sie sich nie zuvor begegnet waren.
Dumm ist sie nicht, dachte er. Und vorsichtig. Das störte ihn nicht. Er hatte ihr etwas zu erzählen, aber nicht vor ihren Freundinnen. Mit einem fast schüchternen Lächeln sah er Taylor und Emily an. »Da geht es um eine persönliche Angelegenheit …« Er schaute zu einer der privaten Logen hinauf, die zwei Stockwerke höher lagen.
Dort erwartete ihn seine Band. Die Jungs überblickten das ganze Eisstadion aus der Vogelperspektive. Von dort oben aus hatte er Sophie beobachtet. Diese Logen kannte sie nicht, und er hoffte, sein Angebot würde sie von ihren Freundinnen loseisen, zumindest für eine Weile.
»In ein paar Minuten beginnt das zweite Drittel«, fuhr er fort und verwirrte sie wieder mit seinem glühenden Blick. »In der Loge, die ich für meine Freunde gemietet habe, ist noch Platz für einen Gast.« Er musterte die Männer hinter Sophie, vor allem Richard, der stinksauer war, wie Az voller Genugtuung feststellte. »Vielleicht möchten Sie zu uns kommen?«, fragte er seinen Sternenengel.
Er hörte das Blut durch Sophies Adern rauschen. Er erregte und erschreckte sie zugleich. Deshalb fiel es ihr schwer, klar zu denken.
Das würde er ausnutzen. Noch länger wollte er ohnehin nicht hier herumstehen und den netten Kerl spielen. Also umhüllte er Sophie sanft mit seiner Macht, und sie konnte gar nicht mehr denken. Vor ein paar Sekunden hatte sie noch tausend Gründe gesehen, Azrael auszuweichen. Jetzt gab es keinen mehr. »Ja«, hörte sie sich wispern, und das genügte ihm vollauf.
Immer noch unter seinem beruhigenden Einfluss lächelte Taylor sie strahlend an. »Geh nur, Soph! Dann kannst du dein letztes Spiel in diesem Stadion von einer Loge aus sehen und hast den besten Überblick.« Um ihr Platz zu machen, verließ sie die Reihe, trat neben Azrael auf die Steinstufe, und Sophie folgte ihr nervös.
In ihrer Nähe konnte er seine Macht nur mühsam zügeln, um sie nicht vollends zu überwältigen. Allen Leuten in diesem Stadion außer den Vampiren hätte er die Sinne rauben können. Unter der Oberfläche brodelten seine magischen Kräfte und flehten um ihre Entfesselung. Ja, er könnte Sophies Geist unterjochen. Nicht problemlos, denn sie war ein Sternenengel und schwieriger zu kontrollieren als die Menschen. Aber er würde es schaffen und mit ihr durch das Dach des Stadions himmelwärts fliegen. Oder er könnte irgendeine Tür benutzen, die sie beide anderswohin befördern würde. Oder er könnte Sophie einfach zwingen, ihr Haar zurückzuwerfen und ihm ihren Hals anzubieten, und er würde sofort seine Fänge in ihm versenken und ihr Blut trinken.
So viel könnte er mit den übernatürlichen Kräften anfangen, die jetzt in ihm tobten. Doch all das wäre übertrieben gewesen, und dank einer günstigen Fügung des Schicksals verzichtete er darauf.
Lässig wies er auf die Treppe, die zu den Aufzügen führte. »Gehen wir?«
Sophie nickte und stieg vor ihm nach oben. Damit sie ihn deutlich spürte, folgte er ihr groß und dunkel auf den Fersen und merkte, wie sehr er sie verwirrte. Ob ihm das gefiel, wusste er nicht genau. Einerseits war es ein köstliches Gefühl, einen Geist wie ihren total zu unterwerfen. Einen Körper wie ihren. Andererseits war es beängstigend, denn sie weckte einen gefährlichen Teil seines
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