Azulamar: Der Erbe von Atlantis (German Edition)
Saphir.
Keine einzige weiße Ader oder andere Unebenheit zeigte sich in dem faszinierenden Blau.
»Tatsächlich …«, sagte Giles noch einmal und schüttelte ehrfürchtig den Kopf. »Ich hätte nie gedacht, dass es hier einen Menschen geben würde, der die Macht des Wassers in sich trägt …«
»Jetzt noch mal von vorne«, verlangte ich. »Was redet ihr da die ganze Zeit? Warum verändert der Stein seine Farbe? Und was hat das alles mit mir zu tun, zum Teufel?«
Rivers Kehle entrang sich ein leises Seufzen, als er sich neben mich setzte und mir tief in die Augen sah. »Einfach alles, Ashlyn.«
»Inwiefern?«, forderte ich eine Erklärung.
»Erinnerst du dich noch an die Geschichte von Hades und Persephone, die ich dir erzählt habe? Ja? Dann weißt du vielleicht auch noch, dass Persephone weinte, um ihrer verlorenen Liebe willen. Ihre Tränen fielen auf die Erde herab, versanken im Meer und wurden zu magischen Gesteinen, die wir heute Viorev nennen. Ihre Oberfläche färbte sich purpurn, aber die Magie Poseidons wirkte immer noch. So kam es, dass manche Menschen, sowohl an Land als auch unten in Atlantis, die Fähigkeit erhielten, das Wasser nach ihrem Willen zu lenken, es zu beherrschen und zu kontrollieren, aber nur mit diesen Steinen als Hilfsmittel. Als Zeichen dieses Zaubers nahmen die Steine eine andere Farbe – tiefblau – an, wenn sie von einem Menschen dieses Schlages berührt wurden. Im Königsgeschlecht von Atlantis waren mehrere von diesen Wasserflüsterern vertreten, aber die Legende erzählt, dass auch auf dem Land solche Menschen zu finden waren. Und du, Ashlyn, du bist eine von ihnen.«
»Das ist doch lächerlich! Ich kann doch kein Wasser kontrollieren!«
»Bist du sicher?«
»Ja.«
River erhob sich schnell und geschmeidig, griff nach dem Glas Wasser auf meinem Nachtschränkchen und kippte es einfach über mich.
Ich zuckte zusammen, duckte mich intuitiv und riss die Hände nach oben. Als ich es wagte, wieder aufzublicken, musste ich erkennen, dass die Wasserfetzen sich über mir unbeweglich in der Luft hielten.
»Großer Gott …«, flüsterte ich. Das Gebilde sah wie eine Welle aus Glas aus; ich hatte so etwas Ähnliches schon einmal auf einem Jahrmarkt gesehen, als ein Glasbläser extra für mich einen winzigen Schmetterling angefertigt hatte. Ich hatte mich damals auch in eine Figur eines Delfins verliebt, der auf den Wellen zu tanzen schien, doch meine Mutter hatte mir die Figur nicht kaufen wollen.
Jetzt schwebte das Wasser schwerelos über meinem Gesicht.
River und Giles hatten recht. Ich konnte – das Wasser kontrollieren!
Erschreckt fuhr ich wieder zusammen, machte eine ruckartige Bewegung mit den Händen und – das Wasser spritzte zurück, in Richtung River, der sich gerade noch darunter wegducken konnte, was er seinen ausgezeichneten Reflexen zu verdanken hatte.
»Glaubst du uns jetzt?«, hakte er nach.
»Aber … Das ist doch unmöglich … Heißt das, dass ich jetzt auch unter Wasser atmen kann?«
»Ja. Ebenso wie ich. Aber nur, so lange du die Kette trägst. Keine Angst, sie zu verlieren ist praktisch unmöglich, man muss sie schon abgerissen bekommen, so wie Tyler das vor einiger Zeit bei mir getan hat.«
Ich musste meine Gedanken und Gefühle erst ordnen – ich sollte nun von der gleichen Energie erfüllt sein wie River?
Dem Wasser hatte ich mich immer verbunden gefühlt. Immerhin war mein Vater ebenso dem Meer verfallen wie ich. Oftmals war er schon frühmorgens aufgestanden, um auf einer Klippe zu sitzen und einfach nur dem Tosen der Brandung zu lauschen. Als ich klein war, hatte ich nur darauf gewartet, dass ich seine Schritte auf den knarrenden Dielenbrettern vernahm. Dann war ich aufgestanden und ihm hinterhergelaufen.
Das erste Mal war Dad nicht begeistert gewesen, aber dann durfte ich mich neben ihn setzen. Das Schweigen hatte ab diesem Zeitpunkt für ihn ein Ende, denn nun begann er, mir Geschichten zu erzählen, Geschichten, so wunderbar und unglaublich, dass ich jeden Moment damit rechnete, den schillernden Fischschwanz einer Meerjungfrau unter den Wellen aufblitzen zu sehen.
Als ich schwimmen und tauchen lernte, war ich kaum noch aus dem Wasser herauszubekommen, und mein Vater scherzte bereits: »Eines Tages wirst du Schwimmhäute zwischen den Fingern bekommen!«
Mir war das egal. Am liebsten wäre ich sowieso immer im Wasser geblieben, auch wenn wir mal Urlaub im Hotel machten, ich im Pool anstatt im Meer badete und mein damals noch recht
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